Alias XX
Ablenkungsmanöver«, sagte Tom.
»Hawaii«, sagte Highcastle. »Wozu aufregen? Die können dort keinen Stützpunkt errichten. Japanische Unterhändler halten sich noch in Washington auf, obwohl sie am Achtzehnten ihre Flotte losgeschickt haben?«
»Genau darin liegt der Überraschungseffekt«, sagte Tom. Highcastle grunzte. »Meine vorrangige Aufgabe ist klar. Das Zwanziger-Komitee retten.«
»Ihre vorrangige Aufgabe«, sagte Tom. »Aber nicht die einzige.«
»Heute kontrollieren wir noch das Nazi-Netz in England. Morgen, wenn Abendammer seinen Funkspruch losschickt, ist das alles hinüber. Wie viele Leben hängen davon ab?«
»Mr. Highcastle hat Recht«, sagte Harriet. »Nichts ist im Moment wichtiger. Wir haben ein ganzes Agentennetz umgedreht – was außergewöhnlich genug ist. Es könnte der Schlüssel für Europa sein.«
Tom stand am Fenster, er sah hinaus, ohne die Straße wahrzunehmen. »Aber Sie werden den COI über Pearl Harbor in Kenntnis setzen. Was anderes können Sie doch nicht machen!«
»Worüber in Kenntnis setzen?«, fragte Highcastle. »Vor einem halben Jahr kam Rudolf Heß angeflogen …«
»Ich kenne die verdammte Geschichte, Highcastle. Heß ist gekommen – und Sie haben die Amerikaner informiert.«
»Heß wollte eine Audienz beim König, sagte er jedenfalls. Um ein Abkommen gegen die Sowjets auszuhandeln, sagte er. Und glauben Sie, wir haben ihn beim Wort genommen und ihn zum Buckingham Palace kutschiert? Nein. Was ganz gut war, weil er ein wenig neben der Spur ist. Erst wollen wir wissen, was vor sich geht, dann handeln wir.«
»Wir haben keine Zeit mehr für solchen Scheiß.«
»Sollen wir das Päckchen des Hunnen mit einer Schleife verzieren? Ohne Beweise, nur aufgrund seiner guten Absichten?«
»Wir haben keine Zeit mehr, Highcastle. Wir haben einfach keine Zeit mehr.«
»Dann halten Sie sich ran. Finden Sie den zweiten Mikropunkt. Finden Sie den Beweis.«
Draußen blieb Tom an einer Telefonzelle stehen und ließ eine Straßenbahn vorbei. »Wenn wir an die Beweise kommen wollen, brauchen wir Earl. Zuerst sollten wir uns dort umsehen, wo er zum letzten Mal gesichtet wurde. Im East End.«
»Im East End?« Harriet überquerte mit ihm die Straße, mit ihrer blassen Hand hielt sie die Krempe ihres Huts fest. »Du hast Earl im East End gesehen?«
»Ja.«
»Wo?«
»Ich hab nicht in meinem Baedeker nachgesehen.« Vorbei an brüllenden Feuerwehrleuten, dem ausgebrannten Textilgeschäft. »Ich werde es erkennen, wenn ich’s sehe.«
»Wann war das?«
»Während des letzten Luftangriffs.«
»Da warst du am Shepherd Market.«
»Ja, ich war da, als es anfing.«
»Du bist nach Osten gegangen? In den Bombenhagel hinein?« Sie konnte es nicht fassen. »Du bist dem Luftangriff gefolgt?«
»Ich bin ihm nicht gefolgt. Ich bin zufällig …«
»Was?«
»In diese Richtung gegangen.«
Sie lachte. Er hatte schon vergessen, wie ihr Lachen klang.
»Du warst ein wenig durcheinander.«
»Es geht mir jetzt besser«, sagte er. »Ich hab ihn gesehen, Harry. Keine zehn Meter vor mir.«
»Du bist dir sicher, dass es Earl war?«
»Earl ist nicht so leicht zu verwechseln.«
Ihr Gesicht verfinsterte sich, ihre Miene war undurchschaubar. »Wirklich?«
»Ich hab ihn gesehen.«
»Wir werden mit dem Waterfall beginnen. Dem letzten Ort, an dem er mit Sicherheit gesehen wurde.«
»›Mit Sicherheit‹? Ich hab dir doch gesagt …«
»Meinst du, ich will dorthin? Hältst du mich für eine Idiotin, die ihren Mann nicht kennt? Gut, ich kann das verstohlene Lächeln und die mitleidigen Blicke ertragen. Ich kann seine Flittchen ertragen, weil mir nichts anderes übrig bleibt.« Sie hatte so fest die Zähne zusammengebissen, dass die Haut über ihren Kieferknochen weiß anlief. »Meine Agentinnen sind Gefahren ausgesetzt, gegenüber denen meine Sorgen wegen eines untreuen Ehemannes Kinkerlitzchen sind.«
Er kannte Harriet gut genug, um den Mund zu halten. Sie gingen einen Häuserblock entlang, überquerten eine Straße. Sie hakte sich bei ihm unter. Sie täuschte sich mit dem Waterfall: Es war eine Sackgasse. Tom hatte Earl im East End gesehen, wo er ihm zehn Blocks weit gefolgt war.
»Wir gehen zu dir nach Hause«, sagte er. »Holen ein neueres Foto von ihm und klopfen an die Türen. Er ist in Stepney oder Wapping, vielleicht in den Docks – in den Lagerhallen, den ausgebombten Gebäuden …«
Sie erwiderte nichts. Ihr Arm passte perfekt in seinen.
»Wenn mir die Gegend bekannt vorkommt,
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