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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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Kühlschrank. Schließlich nahm sie ihren Nähkorb zur Hand und machte sich über die Wolle her. Die Eingangstür war zu hören, Imogene schwebte herein und zog die Brauen hoch.
    »Was immer es sein mag«, sagte sie. » So schlimm kann’s nicht sein.«
    »Oder so gut«, sagte Audrey. Sie hatte Imogene seit dem Tag zuvor nicht mehr gesehen; die Rothaarige strahlte vor Zufriedenheit. »Du siehst aus wie die Katze, die …«
    »Der Kanarienvogel war köstlich. Ich …« Imogene bemerkte den Nähkorb. »Du strickst auch noch, Vee? Sag mir alles!«
    »Ich wohne einfach nicht gern auf einer Müllkippe.«
    »Der neue Mr. Wall, nehme ich an.«
    »Der Läufer starrte vor Dreck. In der Küche war’s noch schlimmer.«
    Imogene inspizierte das missratene Spinnennetz, das Audrey fabriziert hatte. »Was hat er bloß getan, damit er das verdient hat?«
    »Ach, du …« Audrey erzählte ihr, sie habe sich Tom so schamlos an den Hals geworfen, wie es ihr nur möglich gewesen war, und er hatte sie zurückgewiesen. Daraufhin habe sie für die von Tom trotz allem geliebte Harriet Wall eine Nachricht abgegeben. Sie habe eine ganze Büchse Kekse verdrückt …
    Imogene setzte an, um ihr ins Wort zu fallen, ließ es dann aber sein.
    »Was?«, fragte Audrey.
    »Dein Tommy ist in der Lobby. Mit einer Frau, die wohl die Ehefrau seines Bruders ist.«
    Die Kekse in Audreys Magen verwandelten sich in Beton.
    »Jetzt? Ich meine – jetzt?«
    »Sie fragen nach Inch. Russell ist an der Tür, er sagt, Inch müsse jeden Augenblick kommen, sie möchten doch bitte warten.«
    »Wie sieht sie aus, was ist sie für eine Frau?«
    »Die Sorte von Frau, die von Männern ihrer Manieren, ihrer Mutter oder ihres Geldes wegen geliebt wird.«
    »Wirklich?«
    »Ein Pferdegesicht. Wie von der Rennbahn.«
    Audrey erhob sich, klopfte sich den Staub von ihrem ausgeleierten Pullunder und wandte sich an Imogene. »Wie seh ich aus?«
    »Schrecklich. Du hast einen Dreckfleck auf der Nase und keinen Lippenstift. Du meinst doch nicht, dass du …«
    »Ich schau nur um die Ecke«, sagte sie und rieb sich mit dem Ärmel über die Nase. »Sie wird mich nicht sehen.«
    »Zieh wenigstens deine grüne Hemdbluse an.«
    »Aber wenn sie dann schon weg ist?«, jammerte sie. »Ist doch nur kurz.«
    »Wenn du unbedingt meinst, Vee, aber vergiss nicht …«
    Imogene grinste. »Kerzengerade, und das Kinn hoch!«
    Audrey lachte unsicher und rannte durch den Gang. Vor der Tür zur Lobby atmete sie noch einmal durch. Keines der Mädchen außer ihr und Imogene hatten eine Wohnung in dem Gebäude – weil, wie sie freudig den drei Annes mitgeteilt hatte, die Geschäftsleitung gewisse Ansprüche an die Bewohner stellte. Sie atmete aus, und bevor sie die Tür öffnen konnte, wurde diese aufgerissen.
    Vor ihr stand Tom, neben ihm eine adrette Frau in einem geblümten Kleid und einem Pelzmantel. Sie war größer als Audrey, schlanker – hatte eine hübsche, jungenhafte Figur –, und sie war älter. Sie besaß ein markantes Gesicht, einen schönen Teint, strahlend helle Augen und die gewisse Haltung, mit der man einfach geboren werden musste. Lady Harriet Wall war ein eleganter Schwan. Audrey Pritchett war eine fette Watschelente.
    »Aud … Miss Pritchett«, sagte Tom. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Er besaß noch nicht einmal so viel Anstand, sich beschämt zu geben. Aber er sah anders aus. Nein, er sah so aus wie immer, er war nur mehr er selbst.
    »Mr. Wall«, sagte sie.
    »Sie gehen aus?«, fragte er. »Wir müssen Inch finden. Ich dachte, Sie könnten … Was? Ach, darf ich vorstellen? Miss Pritchett, Harriet Wall.«
    Audrey gefiel es, dass er ihren Namen zuerst genannt hatte.
    Weniger gefiel ihr, dass sie einen alten Pullunder und ausgebeulte Hosen trug und ihr Haar ein einziges Krähennest war. Sie sagte, es freue sie, Mrs. Wall kennen zu lernen. Lady Harriet beteuerte in ihrem piekfeinen Akzent, ihr ergehe es ebenso, und lächelte dabei, als meinte sie es ehrlich. Ihr Blick war warm und offen, aber Audrey glaubte einen Anflug von Argwohn entdecken zu können. Gut. Lady Harriet streckte ihr die Hand hin, und Audrey widerstand dem Drang, einen Knicks zu machen. Sie musste über sich selbst lachen, worauf Lady Harriets Argwohn sich zur Befürchtung steigerte: Sie hatte Angst. Angst davor, was sie bei ihrem Besuch in der Halbwelt über ihren Ehemann herausfinden würde. Der elegante Schwan hatte Angst vor der Watschelente!
    »Achten Sie gar nicht darauf«, sagte Audrey.

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