Alias XX
Ein Nazi-Agent. Sondegger ist … Sondegger ist …«
»Von der Abwehr?«
»Nein, vom SD. Dem Sicherheitsdienst der NSDAP. Sie haben davon gehört?«
Tom schüttelte den Kopf.
»Vom RSHA?«, fragte Davies-Frank.
»Himmlers neuer Geheimpolizei?«
»So neu ist die nicht mehr. Im Reichssicherheitshauptamt sind Gestapo, Kripo und SD zusammengeschlossen.«
»Und was ist mit der Abwehr?«
»Das genau würde Admiral Canaris – der Chef der Abwehr – auch gern wissen. Der SD gebietet über in- und ausländische Aktivitäten, und für die Abwehr hat man nur Verachtung übrig, ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruht.«
»Und Dietrich …?« Tom hatte den Namen keineswegs vergessen, er wollte nur sehen, ob er sich die Anspannung in Davies-Franks Stimme, als dieser den Namen aussprach, nur eingebildet hatte.
»Sondegger.«
Schwer zu sagen. »Gehört er zum SD? Ist er die Verbindung zu Earl?«
»Ja. Und er ist hier.«
»In England?«
»In London. In einem ›sicheren Haus‹, wie wir es optimistisch nennen.«
»Er ist gefasst worden?«
»Er hat sich selbst gestellt …«
»Ein Fertig-Doppelagent – Wasser zugeben, umrühren …«
»Er hat sich schnappen lassen, sollte ich vielleicht besser sagen. Ich behaupte nicht, seine Motive oder Ziele zu
verstehen – oder diesen Abgrund, den er Geist nennt.«
»Wo liegt das Problem? Sie haben ihn in Gewahrsam.«
»Warum schickt der SD einen Agenten? Um das Agentennetz der Abwehr zu überprüfen? Hegen Sie den Verdacht, dass es uns gehört? Schlimmer noch, er kam mit einem weiteren Agenten – der noch frei herumläuft. Seinem Funker, Deckname ›Abendammer‹.«
»Das hat er zugegeben?«
Ein wehmütiges Glitzern huschte über Davies-Franks Augen. »Er stand kurz davor, gehängt zu werden. Er hat seinen Partner nur verraten, um seinen Hals zu retten. Abendammer kann das Zwanziger-Komitee vernichten – ein abgesetzter Funkspruch, und das Ganze bricht in sich zusammen. Und Sondegger ist unsere einzige Spur zu Abendammer.«
»Dann folgen Sie doch der Spur.«
»Sondegger zeigt sich nicht sehr … entgegenkommend.«
»Dann fragen Sie ihn nett. Und dann fragen Sie ihn noch mal.«
Plötzlich wirkte Davies-Frank alt. »Warten Sie, bis Sie ihn kennen gelernt haben.«
Tom würde ihn kennen lernen? »Man kann jeden Menschen brechen.«
»Das habe ich auch immer gedacht.«
»Wenn das alles ist – was hat das mit mir zu tun?«
»Uns will Sondegger nicht verraten, wo Abendammer zu finden ist. Er will nur mit Earl reden.«
»Earl?« Tom schüttelte den Kopf. »Er kennt Earl?«
»Behauptet, mit ihm seit einiger Zeit in Kontakt zu stehen. Keinen persönlichen – sie haben sich nie getroffen –, aber Briefe wurden ausgetauscht. Eine ganze Menge, wenn man sieht, was er alles über das Leben Ihres Bruders weiß. Er behauptet, er sei mit Earls Wissen hier.«
»Und Earl ist verschwunden?«
»Genau.«
»Also stecken Sie fest.«
»Deshalb trifft es sich ja so wunderbar«, sagte Davies-Frank, »dass wir Sie haben.«
So tun, als wäre er Earl. Tom hatte den gleichen Akzent, die gleiche Vergangenheit. Er sah ihm ähnlich. Earl war drei Jahre älter, aber manchmal waren sie für Zwillinge gehalten worden. So tun, als wäre er Earl. Earl finden. Ihn stoppen. Es ging über seine Vorstellung. Konnte er Davies-Frank vertrauen? Wahrscheinlich nicht, aber er tat es. Konnte er sich für Earl ausgeben? Wahrscheinlich nicht … Er ließ sich den Gedanken durch den Kopf gehen. So tun, als wäre er Earl. Mit heiterer Sorglosigkeit grinsen und lachen. Gehen, als gehörte die Straße ihm. Als befände er sich auf dem Nachhauseweg zu Harriet. Konnte er so tun, als wäre er Earl? Nein.
»Wenn dieser Nazi Earls Verbindungsmann ist«, sagte Tom, »dann hat der COI Aufzeichnungen darüber. Warum ist das nicht Sache der Amerikaner?«
»Wir sind hier nicht in Amerika«, sagte Davies-Frank.
»Wenn Sie mich bitten sollten, gegen die Staaten zu
arbeiten …«
»Die Abwehr hat ein funktionierendes – sehr aktives – Netz in den USA. Sie gehören jetzt zu dem halben Dutzend Amerikaner, die vom Zwanziger-Komitee wissen. Wenn wir die Amerikaner einweihen, können wir es auch gleich der Abwehr auf die Nase binden.«
»Sie haben mich eingeweiht.«
»Weil es notwendig ist. Weil Sie, was Ihre Glaubwürdigkeit anbelangt, eine einzigartige Stellung einnehmen. Weil Sie dem Militärgesetz des Commonwealth unterstehen – wenn es nötig sein sollte, können wir Sie hinter Schloss und Riegel
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