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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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legten die Gurte ab, sprinteten zu den Waffenbehältern. Mit jahrelang gedrillter Präzision überprüften und luden sie die Waffen, traten um ihre toten Kameraden und warfen sich in die Schlacht. Die Luftwaffe griff die alliierten Stellungen an, gab den Fallschirmjägern Deckung, verschaffte ihnen Zeit, sich zu sammeln, warf Waffen ab und noch mehr Männer, immer noch mehr Männer …
    Toms Trupp befand sich auf einem Aufklärungseinsatz, sie durchkämmten ein Gerstenfeld. O’Rourke erstarrte, als er ein Geräusch hörte, und gab den anderen ein Zeichen. Manny und Rosenblatt gingen in einer Mulde in Deckung und entspannten sich: Stimmen mit Kiwi-Akzent. Ein Lieutenant führte drei Dutzend bewaffnete Männer – freigelassene Inhaftierte – aus dem »Prison Valley«. Zum Truthahnschießen, sagte er, Nazis jagen.
    Zwanzig Minuten später stießen sie auf einen Kraut, dessen Fallschirm sich in einem Baum verfangen hatte. Er hing schlaff im Gurt, tot – bis Hanner sich ihm näherte. Der Kraut zückte sein Klappmesser. Tom erschoss ihn, ohne auch nur kurz ins Stocken zu geraten: »Wir sind keine Grabschänder. Waffen, ja, nehmt mit, was ihr tragen könnt. Und Zigaretten. Alles andere lasst ihr da.« Die Fallschirmjäger waren für sie wie ein verfrühtes Weihnachten – Schokolade und Zwieback, Zigaretten und Würste und Gummis, Nadeln und Ampullen mit Aufputschmittel, Decken und Socken und Westen. Sie trugen
9-mm-Parabellum-Luger und Handgranaten. Ihre Versorgungsbehälter waren Schatzkisten mit Mauser K-98, Schmeisser MP-40 Maschinenpistolen, leichten Maschinengewehren MG-34. Und Munition. Gottverdammter Munition. »Manny, ruf die Basis und erbitte …«
    Aus einem dürren Olivenhain kam das dumpfe Wummern von Mörsergranaten. Der Trupp setzte sich in Bewegung, feuerte, bewegte sich vorwärts, feuerte; schlich sich voran wie ein Tier, lauerte den Bodentruppen auf und zog den Kopf ein vor den Luftangriffen. Der Himmel war der Feind. Die Deutschen brachen über sie herein, bombten, griffen im Tiefflug an und fielen in Wellen über sie her. Bevor das Funkgerät den Geist aufgab, hörten sie, dass deutsche Truppentransporter die Strände eingenommen hatten; Ju-52 waren auf den Feldern bruchgelandet. Der Schwarm war nicht aufzuhalten. Deutsche waren auf der Brücke über dem Flussbett des Tav. Weiter südlich hatten sie eine Hand voll Sanitäter gefangengenommen und benutzten sie als menschliche Schutzschilde, um sich zur Höhe 107 und zum Flugplatz vorzukämpfen.
    Weiter südlich? Toms Trupp befand sich weiter südlich. Sie näherten sich den Deutschen von der Seite. Toms Trupp feuerte nur zögerlich, aus Angst, die Verbündeten – blassgesichtige Aussies und Briten – zu treffen. Die Geiseln wurden vorangetrieben, aber sie blieben ruhig, weigerten sich, in Panik zu geraten. Doch die Krauts waren im Begriff, die verdammte Anhöhe zu nehmen. Wenn sie den Hügel nahmen, hatten sie den Flugplatz. Und wenn sie den Flugplatz hatten, würde die Insel fallen.
    Tom konnte den Befehl nicht aussprechen. Etwas Unverständliches kam über seine Lippen, dann drückte er den Abzug durch. Ließ seine erbeutete 9-mm-Schmeisser für sich sprechen. Dann schwieg sie. Die Jungs erledigten den Rest. Aber sie kamen, unaufhaltsam. Immer mehr Bomber, immer mehr Männer.
     

16
 
1. Dezember 1941, Nacht
    Die junge Frau, die sich Abendammer nannte, rückte ihren Hut zurecht, damit er etwas kesser auf dem Kopf saß. Sie lächelte in der Dunkelheit von Mr. Penthams Garten – der Sitz des Hutes war eben allzeit von entscheidender Bedeutung – und griff sich ihr Fahrrad, das am Tor lehnte.
    Wie nachlässig die Luftwaffe doch war – sie flog halbherzige Angriffe, schickte lediglich vereinzelte Maschinen, die sich dann schnell wieder davonmachten. Wie sehr wünschte sie sich, dass sie wieder richtig mit den Bombardements beginnen würde. Sie hatte Geschichten darüber gehört, Feuersbrünste am Hafen, endlose Bombenhagel, heulende Sirenen, das Rattern der Bordwaffen, wenn sich die Jäger am Himmel wie Gladiatoren bis auf den Tod duellierten. Alles, was sie sich wünschte, war ein klitzekleiner Hauch an Prunk und Glanz, ein Farbtupfer in dieser düsteren Stadt. Nicht dass die Menschen düster gewesen wären. Sie waren wirklich liebenswürdig. Sie brachten sie zum Lachen. Diese Engländer, sie waren ja so leicht zu täuschen. Natürlich beherrschte sie ihre Rollenspiele – so gut, dass sie sich manchmal selbst zum Narren hielt. Sie erinnerte

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