Alibi für einen König
die beiden Prinzen erledigt, und dann wollte er ihre älteste Schwester heiraten.«
»Ja. Er konnte ja nicht einen von den Jungen heiraten.«
»Nein. Auf diesen Gedanken ist wohl nicht einmal Richard III. gekommen.«
»Er wollte also Elisabeth heiraten, um sich auf seinem Thron sicherer zu fühlen. In Wirklichkeit hat sie ja seinen Nachfolger geheiratet. Sie war die Großmutter von Königin Elisabeth. Mich hat es immer gefreut, daß Elisabeth ein paar Tropfen Plantagenet-Blut hatte. Die Tudors habe ich nie so recht gemocht. Jetzt muß ich aber gehen, sonst macht die Oberin noch Visite, ehe ich Nummer vier wieder im Bett habe.«
»Das wäre eine Katastrophe.«
»Für mich bestimmt«, sagte sie und verschwand.
Grant nahm das Buch, das sie ihm geliehen hatte, wieder vom Nachttisch und versuchte, sich über die Kriege der Rosen klarzuwerden. Es gelang ihm nicht. Armeen wogten hin und her. Mal siegte York, mal siegte Lancaster. Man kam gar nicht mehr mit. Der Kopf schwirrte einem wie beim Anblick der Autoscooter, die auf dem Jahrmarkt ineinanderfahren und durcheinanderkreiseln.
Aber es kam ihm vor, als sei der Ursprung dieses ganzen Schlamassels beinah hundert Jahre früher zu suchen, als die direkte Erbfolge durch die Entthronung Richards II. unterbrochen worden war. Darüber wußte er genau Bescheid, denn er hatte in seiner Jugend »Richard von Bordeaux« im Neuen Theater gesehen. Er hatte es sogar viermal gesehen. Drei Generationen lang hatten die Lancaster-Usurpatoren England regiert: Heinrich IV. unglücklich, aber ganz ordentlich; dann Shakespeares Prinz Heinz, dem Agincourt Ruhm und sein Glaubenseifer Schande eingetragen hatten, und schließlich dessen Sohn Heinrich, ein vertrottelter Tolpatsch und Versager. Kein Wunder, daß die Menschen sich wieder nach dem legitimen Herrscherhaus zurücksehnten, als sie mitansehen mußten, wie des armen sechsten Heinrich unfähige Freunde die französischen Siege vertaten, während er selbst seine neue Gründung Eton hätschelte und die Damen bei Hof bat, ihren Busen zu bedecken.
Alle drei Lancaster waren von einem unerfreulichen Fanatismus besessen, der so gar nichts mit den liberalen Anschauungen jenes Hofes gemein hatte, der mit Richard II. dahingegangen war. Auf Richards Methode des Leben-und-Lebenlassens war beinah über Nacht die Ketzerverbrennung gefolgt. Drei Generationen lang hatte man Ketzer verbrannt. Kein Wunder, wenn im Herzen des kleinen Mannes allmählich ein weniger öffentliches Feuer der Unzufriedenheit zu schwelen begonnen hatte.
Um so mehr, da nun aller Augen auf den Herzog von York gerichtet waren. Der war hochbefähigt, empfindsam, einflußreich, tüchtig, ein Fürst von Geblüt und der legitime Erbe Richards II. Vielleicht wollte das Volk gar nicht, daß York die Stelle des armen törichten Heinrich einnehmen sollte. Aber es wünschte, er würde die Geschicke des Landes in seine Hände nehmen und den Karren aus dem Dreck ziehen.
York versuchte es und mußte zum Lohn für seine Mühe den Schlachtentod sterben. Und seine Familie verbrachte viele Jahre im Exil oder im Asyl.
Als der Tumult und das Geschrei sich gelegt hatten, da saß auf Englands Thron der Sohn, der in jenem Kampf Seite an Seite mit ihm gekämpft hatte, und das Land schickte sich beruhigt in die Herrschaft dieses hochgewachsenen, flachsblonden, den Weibern nachstellenden, ungewöhnlich schönen, aber auch ungewöhnlich klugen jungen Mannes, Eduard IV.
Bis dahin und nicht weiter konnte Grant die Kriege der Rosen begreifen.
Er blickte von seinem Buch auf und sah die Oberin mitten im Zimmer stehen.
»Ich habe angeklopft«, sagte sie. »Aber Sie waren in Ihr Buch vertieft.«
Da stand sie, schlank und unnahbar und auf ihre Weise ebenso elegant wie Marta. Die Hände mit den weißen Manschetten waren locker vor der schmalen Taille ineinander verschlungen, der weiße Schleier bauschte sich in unnachahmlicher Würde. Ihr einziger Schmuck war die kleine silberne Schwesternbrosche. Grant überlegte, ob wohl irgend jemand auf der weiten Welt eine noch unerschütterlichere Haltung an den Tag legen könnte als die Oberin eines großen Krankenhauses.
»Ich habe angefangen, mich mit Geschichte zu befassen«, sagte er. »Ich bin ein bißchen spät dran damit.«
»Ein ausgezeichneter Gedanke«, antwortete sie. »Das rückt die Dinge ins rechte Licht.« Ihr Blick fiel auf das Porträt, und sie fragte: »Sind Sie für York oder für Lancaster?«
»Sie kennen das Porträt?«
»O ja. Als
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