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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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Außerordentlich freundlich. Womit beschäftigen Sie sich denn gerade?«
    »Mit dem Bauernaufstand.«
    »Oh. Richard II.«
    »Ja.«
    »Interessieren Sie sich für soziale Verhältnisse?«
    Der junge Mann grinste plötzlich auf sehr knabenhafte Weise und sagte: »Nein, ich bin ausschließlich daran interessiert, in England zu bleiben.«
    »Und ohne diese Studien können Sie nicht in England bleiben?«
    »Nicht ohne weiteres. Ich brauche ein Alibi. Mein Papa findet, ich solle das Geschäft übernehmen. Wir handeln mit Möbeln. Großhandel. Versandhaus. Bestellung nach Katalog. Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Grant. Es sind prima Möbel. Halten ewig. Ich kann mich nur einfach nicht für Serienmöbel begeistern.«
    »Und abgesehen von einer Polarexpedition erschien Ihnen das Britische Museum die einzig geeignete Zuflucht?«
    »Na, dort ist wenigstens geheizt. Und ich interessiere mich wirklich für Geschichte. Es war mein Hauptfach in der Schule. Und wenn Sie es genau wissen wollen, Mr. Grant – ich mußte Atlanta Shergold nach England nachreisen. Das ist die doofe Blonde in Martas, wollte sagen in Miss Hallards Stück. Ich meine, sie spielt die doofe Blonde. In Wirklichkeit ist Atlanta alles andere als doof.«
    »Das stimmt. Eine sehr begabte junge Person.«
    »Sie haben Sie gesehen?«
    »Ich glaube nicht, daß irgend jemand in London sie nicht gesehen hat.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht. Das Stück läuft ja ewig. Wir – Atlanta und ich – glaubten nicht, daß es länger als ein paar Wochen auf dem Spielplan bliebe. Und so verabschiedeten wir uns und sagten: ›Auf Wiedersehen Anfang des nächsten Monats!‹ Aber als sich dann herausstellte, daß es ewig weitergespielt würde, da mußte ich eben eine Ausrede erfinden, um nach England zu fahren.«
    »Genügte denn Atlanta nicht als Ausrede?«
    »Meinem Papa nicht! Die Familie hat keine sehr hohe Meinung von Atlanta, und Papa ist der schlimmste von allen. Wenn er es überhaupt über sich bringt, sie zu erwähnen, dann nennt er sie nur ›diese junge Schauspielerin, die du da aufgegabelt hast!‹ Wissen Sie, Papa ist Carradine III., und Atlantas Vater ist leider nur Shergold I. Kleine Kolonialwarenhandlung an der Hauptstraße, um es genau zu sagen. Und überdies hat Atlanta daheim in den Staaten nicht gerade viel geleistet. Ich meine auf der Bühne. Dies hier ist ihr erster großer Erfolg. Deshalb will sie auch nicht kontraktbrüchig werden und nach Hause fahren. Im Gegenteil, es wird noch einen ziemlichen Kampf kosten, bis ich sie überhaupt wieder zurückbringe. Sie meint, unsere Familie würde sie nie anerkennen.«
    »Und da haben Sie sich also dem Geschichtsstudium zugewandt?«
    »Ich mußte mir etwas ausdenken, was ich nur in London tun kann. Und historische Studien hatte ich schon im College betrieben. Daher kam mir das B. M. gerade gelegen. Ich konnte hier mein Leben genießen und gleichzeitig meinem Vater beweisen, daß ich wirklich arbeite.«
    »Ja. Das ist eins der nettesten Alibi, die mir je begegnet sind. Und darf ich fragen, warum es gerade der Bauernaufstand sein muß?«
    »Das ist doch eine interessante Epoche. Und ich dachte, das würde Papa gefallen.«
    »Ach, er interessiert sich für Sozialreformen?«
    »Nein, aber er haßt Könige.«
    »Carradine III.«
    »Ja, zum Totlachen, was? Ich würde mich nicht wundern, wenn er in einem seiner Tresore eine Krone versteckt hätte. Ich wette, daß er sie hin und wieder herausholt und sich damit auf den Grand-Central-Bahnhof schleicht, um sie in der Herrentoilette aufzuprobieren. Aber ich fürchte, ich langweile Sie, Mr. Grant. Meine Privatangelegenheiten können Sie wohl kaum interessieren. Deswegen bin ich auch nicht gekommen. Ich kam, um –«
    »Weswegen auch immer Sie gekommen sind, der Himmel selbst hat Sie geschickt. Also machen Sie es sich bequem, wenn Sie ’s nicht eilig haben.«
    »Ich habe es nie eilig«, sagte der junge Mann und streckte seine Beine weit von sich. Dabei berührten seine Füße den Nachttisch, und das Porträt Richards III. flatterte von seinem wackeligen Podest auf den Fußboden.
    »Oh, entschuldigen Sie! Das war aber sehr unachtsam. Ich hab’ mich noch immer nicht an die Länge meiner Beine gewöhnt. Man sollte meinen, mit Zweiundzwanzig wäre man endlich mit seinen Dimensionen vertraut.« Er hob die Fotografie auf, staubte sie sorgfältig am Ärmel seines Mantels ab und betrachtete sie mit Interesse. »Richardus III, Ang. Rex«, las er laut.
    »Sie sind der erste

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