Alibi in High Heels (German Edition)
Wasserflasche, die ich immer noch in der Hand hielt, dann schob ich mich durch die Schminkstühle, Kleiderständer und das allgemeine Chaos bis zu Angelica vor, die in der einen Hand den abgebrochenen Absatz hielt und mit der anderen versuchte, den Reißverschluss eines schwarzen Baby-Doll-Kleides zu schließen.
»Absatz-Notfall?«, fragte ich.
Angelica nickte. »Tut mir leid. Ich bin über einen Schminkkoffer gestolpert.«
Ich zog eine Tube Sekundenkleber aus der Tasche. »Kein Problem.« Ich gab eine dünne Schicht auf den Absatz und klebte ihn wieder an. Für einen Einkaufsbummel würde es zwar nicht reichen, aber die zwei Minuten, die sie brauchte, um über den Laufsteg zu stöckeln, würde er halten.
»Ich liebe dieses Outfit«, sagte ich und zeigte auf das Kleid. Es hatte eine hohe Empire-Taille und einen fließenden glockigen Rock à la Audrey Hepburn. Schick der sechziger Jahre.
»Danke. Noch schöner wäre es, wenn ich dazu eine echte Halskette tragen würde.« Sie zupfte den Modeschmuck um ihren Hals zurecht, den Jean Luc noch in letzter Minute als Ersatz für die echte Kette gefunden hatte, die immer noch in Moreaus Asservatenkammer lag, zusammen mit zwei Dutzend meiner allerbesten Arbeiten.
Ich verdrängte den Gedanken daran, um nicht an Ort und Stelle in Tränen auszubrechen.
»Die blöde Gisella. Noch wenn sie tot ist, vermasselt sie mir alles«, murmelte Angelica.
»Na ja, wenigstens kann sie jetzt niemandem mehr den Freund ausspannen«, hielt ich ihr entgegen.
Angelica sah mich mit schief gelegtem Kopf an, sodass ihre rote Lockenmähne auf eine Seite hing. »Was?«
»Wie Ihren Freund Sam.«
Sie zeigte mir ihre blendend weiße Zahnreihe, als sie mich anlächelte. »Ich habe nie gesagt, dass Sam ein Mann ist. Samantha war meine Freundin.«
Ich schlug mir im Geist an die Stirn.
»Ups. Mein Fehler. Ich dachte wohl einfach … « Ich brach ab. Im Hinblick auf den Inhalt der Videos auf Gisellas Kamera hatte ich immer wie selbstverständlich angenommen, dass wir über einen Mann sprachen. Nie war mir der Gedanke gekommen, Gisella hätte Angelica eine Frau abspenstig machen können. Weil ich davon ausgegangen war, dass Gisella eingleisig fuhr – ein Fehler.
Aber zu meiner Verteidigung muss gesagt werden, dass »Sam« nicht gerade ein femininer Name war. Wenn sie »Sally« gesagt hätte, wäre ich gleich auf den Trichter gekommen.
Angelica winkte ab. »Nicht schlimm«, sagte sie.
»Angelica, du bist dran«, rief Jean Luc, packte sie bei den Schultern und zerrte sie in die Kulissen, wo sie von Ann in die wartende Schlange geschoben wurde.
Also war Sam eine Frau. Irgendwie schien es mir, als wäre diese neue Information von besonderer Bedeutung. Aber ich kam nicht darauf, warum.
Als die Musik lauter wurde, brandete Applaus im Zelt auf. Ann sagte tonlos Go zu Angelica, die den Laufsteg betrat. Sofort brach ein Blitzlichtgewitter los. Unter dem steten Dröhnen der Musik drehte ich im Kopf die einzelnen Informationen, die ich in der letzten Woche gesammelt hatte, hin und her wie Puzzleteilchen, die nicht ganz zusammenpassten.
Ich beobachtete, wie Jean Luc die Models in eine Reihe scheuchte und Ann in ihr Headset schrie und jedes Model mit einem Go losschickte, wenn sie grünes Licht bekam. Dana zappelte nervös herum. Sie sah umwerfend aus in ihrem smaragdgrünen Kleid. Als sie sich zu mir umdrehte, hob ich beide Daumen, dann schob Ann sie auch schon auf den Laufsteg. Ich konnte mich eines Anflugs von Stolz nicht erwehren, als meine Freundin mit Aaahs und Ooohs begrüßt wurde.
Eines nach dem anderen kamen die Models von der Bühne zurück. In der Sekunde, in der sie den Backstage-Bereich betraten, verwandelten sich ihre stoischen Mienen in Panik, und sie rissen sich hastig ihre Outfits herunter, um den nächsten Look über die langen Glieder zu ziehen. Sofort fiel ein Team aus Stylisten über sie her, und Haare wurden toupiert, Kleider flogen, Schuhe wurden über müde Füße gezogen, alles zu dem lauten, steten Bassrhythmus, der aus den versteckten Lautsprechern wummerte.
Ich nahm noch einen Schluck Wasser. Das Chaos um mich herum, ganz zu schweigen von der letzten Woche, zerrte an meinen Nerven. Meine Hände begannen feucht zu werden, und mein Herz schlug ein wenig schneller.
Und dann war da noch Felix. Er lehnte ein wenig abseits, mit dem Rücken zum Laufsteg, an der Wand. Die Hände in den Hosentaschen, beobachtete er aufmerksam, was sich um ihn herum abspielte, zweifellos, um die ganze
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