Alice@Hollywood
sogar das John-Lennon-Haus erkennen, wenn die Bäume kein Laub tragen würden. Nach einem kurzen Zwischenstopp in einem der drei Bäder begebe ich mich zum Frühstück. Nina und Ruth sitzen an einer offenen Pantry-Theke, die den Wohnbereich von der Küchenecke abgrenzt. Die Wohnung des Hajo Essen ist stilvoll eingerichtet: Polstergarnitur und Vorhänge aufeinander abgestimmt, hochwertige Designerschränke runden das Bild ab, Ölgemälde an den Wänden. Die machen allerdings den Eindruck, als seien sie in 'erster Linie wegen ihrer Farbkombinationen ausgewählt worden, die mit den Tönen der Einrichtungsgegenstände harmonieren. Hier war eindeutig ein Innenarchitekt am Werk.
Jenny hat Breakfast gezaubert. Sie serviert jeder von uns einen Teller, üppig belegt mit Rührei, French Toast, Pancakes und geröstetem Schinken.
»Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hast du das Teewasser anbrennen lassen !« , witzele ich. Jenny ist nicht gerade für ihre Kochkünste berühmt. Obwohl ich von zwei Typen gehört habe, dass sie ein gutes Sandwich macht.
»Früher wusste ich ja auch noch nicht, dass es das Hungry-Man-Mikrowellenfrühstück gibt !« , antwortet sie und hält einen King-Size-Pappkarton hoch, dem sie unser Mahl entnommen hat. Da ist tatsächlich alles drin, was man in drei Minuten auf 800 Watt problemlos zubereiten kann. Jenny ist so stolz auf ihre Aufwärmkünste, als hätte sie uns gerade ein Vier-Gänge-Menu à la Bocuse kredenzt. Wohlwollend spachteln wir los. Schnell sind wir uns einigt dass der Fraß mit reichlich Ketchup und Ahornsirup sogar halbwegs akzeptabel schmeckt. Nur Ruth mäkelt herum. Birchermüsli und Sonnenblumen-Sesam-Mehrkorn-Brötchen wären ihr entschieden lieber gewesen. Ein frisch gepresster Orangensaft kann sie aber letztlich besänftigen.
Jenny hat echt Glück gehabt, dieses Jobangebot zu bekommen. Wenn man in dem Zusammenhang überhaupt das Wort »Job ,« in den Mund nehmen darf. Herr Essen hatte in der Süddeutschen inseriert. Nicht in der Gala. Es grenzt schon an ein Wunder, dass Jenny seine Anzeige überhaupt gelesen hat. Das aber auch nur, weil der Verkäufer vom »Glashaus« ihre Kosta-Boda-Vase darin eingewickelt hatte. Jedenfalls hat sie auf sein Gesuch geantwortet: für freie Kost und Logis in Manhattan sein Apartment zu hüten. Für zwei Monate. Lediglich die An- und Abreise waren selbst zu bezahlen.
Herr Essen ist zur Zeit in Japan. Er ist Deutscher, arbeitet aber für einen amerikanischen Konzern, der in Japan eine Dependance aufbauen will. Was genau »die da so machen«, weiß Jenny allerdings nicht. Ganz bestimmt aber verdient Hajo einen Haufen Kohle, denn er hat Jenny für die laufenden Kosten ein Wochenbudget von 1000 Dollar dagelassen.
Ruth erhebt sich von ihrem Hocker und geht kopfschüttelnd auf und ab. Was für eine Verschwendung in Anbetracht der Armut in dieser Welt, denkt sie wahrscheinlich. Hier an der Upper East Side kostet die Monatsmiete für ein Apartment ungefähr das Bruttosozialprodukt eines kleinen afrikanischen Staates. Ruth bleibt vor mir stehen. Vielleicht sollte ich sie einfach in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie sich jetzt nicht über derartige Ungerechtigkeiten ärgern soll. Einfach den Urlaub genießen. Aber genau das hat sie anscheinend ohnehin vor. Und womöglich mehr.
»Sieht der gut aus, der Herr Essen? Was muss ich tun, damit er mich heiratet ?« , sagt sie scherzhaft. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass Ruth wirklich ab und zu übers Heiraten nachdenkt. Fehlt natürlich noch der Richtige. Das ist das Problem.
Außerdem gibt es im Moment für Ruth ein noch größeres Problem. Ihr Gepäck ist und bleibt verschollen. Mein Vorschlag, New York im Stringtanga unsicher zu machen, stößt nur bei Jenny auf Zuspruch. Ruth verzieht sich nach nebenan. Ehe wir noch unseren letzten French Toast verputzen können, hat sie bereits Ninas und mein Gepäck ins Wohnzimmer verfrachtet. Akribisch durchwühlt sie unsere Klamotten nach etwas Passendem. Zum Glück haben wir nicht unbedingt denselben Geschmack, und Ruth gibt sich schließlich mit meiner leichten Leinenhose und Ninas auberginefarbenem T-Shirt mit V-Ausschnitt zufrieden.
»Die von der Airline müssen dir doch eigentlich eine Grundausstattung bezahlen. Für die ersten Tage, bis die Koffer wieder auftauchen.« Das hat Jenny mal irgendwo gelesen.
Was uns zu unserem nächsten Tagesordnungspunkt bringt: Was machen wir heute? Mit Jennys Information als Grundlage kommt für Ruth
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