Alice@Hollywood
Schlips-Fuzzis, die wir aus dem Dezentral oder der Trees Lounge Bar kennen, wirken allesamt wie schlechte Kopien gegen die Jungmanager, die hier die Nadelstreifen ins Straßenbild bringen. Man hat immer das Gefühl, die deutschen Jungs wären verkleidete Puppen. Am Abend kommt jemand klappt das Toupet hoch und zieht den Stöpsel. Pfffft. Dann geht die ganze Luft raus, und die germanischen Möchtegernmanager werden bis zum nächsten Auftritt in ihre Aufbewahrungsboxen gepackt. So gar nicht authentisch.
Nina deutet auf drei Banker, die an einem Hot Dog Stand verweilen. »Die sehen aus wie geklont! So gar nicht authentisch .«
Offensichtlich kann man es auch anders sehen.
»Aber sie sind süß !« , ergänzt Ruth.
An der Stelle sind wir uns dann wieder alle einig.
»Mal schauen, was die Jungs heute noch so vorhaben«, kommentiert Ruth einen noch nicht vorhandenen Plan.
Sie deutet mit einem Kopfnicken auf drei Anzugträger, die sowohl auf dem Titel vom Manager-Magazin als auch auf der Men's Health zu Hause sein könnten. Ruth setzt sich in Bewegung, geradewegs auf die Finanzhaie zu. Die haben inzwischen ihre Würstchen verputzt und trotten, über Aktienkurse und ihre Luxusyachten plaudernd, die Michigan Avenue hinauf. Ruth hinterher. Nina und ich schauen uns an. Wir dürfen sie auf keinen Fall allein lassen. Leicht außer Atem haben wir unsere Freundin ein paar Blocks weiter eingeholt. Sie hat den Abstand zu den Playboys auf knappe fünf Meter schrumpfen lassen.
»Ich nehme den in der Mitte«, beschließt Ruth.
Sie teilt Nina den dunkelblonden Brillenträger und mir den grau melierten Broker mit der schweinsledernen Aktentasche zu. Okay, denke ich. Es ist Urlaub. Wir haben nichts zu verlieren. Nicht mal mehr unsere Unschuld. Ruth pirscht sich bis auf wenige Zentimeter heran. Streckt den Arm aus, um ihrem Auserwählten auf die Schulter zu tippen. Da springt die Fußgängerampel vor uns auf Rot. Don't Walk. Die Jungs bleiben abrupt stehen, doch Ruth kann nicht mehr anhalten. Ungebremst rauscht sie dem Objekt ihrer Begierde ins Kreuz. Ein gepresster Schrei, und der Schlipsträger liegt auf der Straße. Bremsen quietschen. Aus seiner misslichen Situation kann der Arme genau die Profiltiefe des Taxis ausmachen, das vor seiner Stirn zum Stehen kommt. Im Nu hat sich eine Menschentraube gebildet. Ruth wittert ihre Chance, dem Benommenen auf die Beine zu helfen. Sandra Bullock in »Während du schliefst« eilt zum Komapatienten. Am Ende kriegt sie seinen weniger attraktiven Bruder, der dafür voller menschlicher Wärme steckt. Doch Ruth ist nicht schnell genug.
»Hey, Sweetheart !« , beugt sich der Broker, der eigentlich mir zugeteilt war, zu seinem Kollegen herunter. »Are you alright ?«
Sweetheart nickt und bekommt dafür von Grauschläfe einen dankbaren Kuss auf den Mund. Einige Passanten beginnen zu applaudieren. Ich bin froh, dass ihm nichts passiert ist. Ich bin aber, auch froh, dass es noch tolerante Menschen in Amerika gibt, im Gegensatz zu dem weit verbreiteten Vorurteil. Aber am glücklichsten macht es mich, dass ich hier am Straßenrand erfahren habe, dass der Typ schwul ist, und nicht erst auf seinem Hotelzimmer. Während sich die Versammlung langsam zerstreut, haben meine beiden Freundinnen schon das Weite gesucht. Unschuldig stehen sie vor einem Schaufenster, dekoriert mit Blumen aus Dollarscheinen. Niemand hat gesehen, wer den Banker vor das fahrende Auto geschubst hat. Doch Ruth zittern die Knie.
»Shit. Der wäre fast überfahren worden !« , dringt es dünn durch ihre Lippen.
»Ist er aber nicht !« , tröstet Nina.
Ich beschränke meinen Zuspruch darauf, meine beste Freundin ganz fest in den Arm zu nehmen. Nina klinkt sich ein. Schön, dass wir uns haben. Mir läuft eine Träne über die Wange. Wie Statuen stehen wir in innigster Harmonie vor dem Schaufenster.
»Move !« , ein Typ mit Motorradsturmhaube gibt uns einen unsanften Schubs.
Wir verlieren das Gleichgewicht und machen, genauso wie der schwule Anzugheini, Bekanntschaft mit dem Chicagoer Asphalt. Ich sehe den Rowdie um die nächste Straßenecke rennen, dann verliere ich ihn aus dem Blickfeld. Jetzt sind nur noch Beine um uns herum. Wir haben alle Mühe, nicht zertrampelt zu werden. Gut, dass ich Jeans anhabe, kommt mir der völlig unsachliche Gedanke.
Minuten später haben sich bereits mehrere Fernsehteams mit Ü-Wagen an der Ecke aufgebaut. Dass wir quasi Zeugen eines Banküberfalls geworden sind, erfahren wir erst, als das Rotlicht
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