Alice at Wonderland
seine Idee, weil er meinte, ich sei emotional gehemmt und daher generell bindungsunfähig. Jeder ist emotional gehemmt, wenn nach mehr als vier Jahren überwiegend konventioneller Sexpraktiken der Partner plötzlich mit Handschellen am Bett steht und man im Augenwinkel ein Sammelsurium bös blinkender chirurgischer Instrumen te wahrnimmt. Es hat drei Sitzungen gebraucht, bis ich
der Therapeutin beibringen konnte, dass Dorian das Wort Bindungsfähigkeit wörtlich nimmt und außerdem versucht, eine Art privates Medizinstudium aufzunehmen. Eingeschrieben war er für Sozialpädagogik, und ich fürch te fast, dass es da einen ursächlichen Zusammenhang gab. Dorian hat die Therapie dann allein weitergeführt und sich einige Wochen später für den Rest unserer Beziehung geweigert, mit mir zu schlafen. Ich dachte, es läge an seinen unerfüllten Phantasien. Einmal habe ich sogar angeboten, dass das mit dem Fesseln an sich okay wäre, wenn er da für auf eine spontane BlinddarmOperation verzichtet. Nichts zu machen. Erst nach der Trennung habe ich er fahren, dass die Therapeutin ihm diesen Blödsinn ziemlich schnell ausgeredet hatte. Daraufhin haben die beiden es regelmäßig in ihrer Praxis getrieben, und zwar ohne tech nischen Schnickschnack. Ich selbst habe von dieser Ge schichte lediglich einen leisen Schauer übrig behalten, der mir den Rücken runterrieselt, sobald ich Männer kennen lerne, in deren Berufsbezeichnung das Wort »Pädagoge« vorkommt. Und ein gewisses Misstrauen in die Wirksam keit von Paar-Therapien.
Ich wollte immer dahinter kommen, was mich an Dorian fasziniert hat. Es scheint genau dieses obskur Ge heimnisvolle gewesen zu sein. Etwas Funkelndes, das im Innersten lauert, das man nur ahnen kann, bis es irgendwann zum Vorschein kommt. Natürlich hätte ich es dann lieber gehabt, er hätte sich als der verlorene Sohn eines orientalischen Prinzen herausgestellt, statt mir unverse hens mit Tuchzangen und Kanülen vor der Nase herumzuklimpern.
Vor kurzem hat in unserer Online-Redaktion ein neuer Webdesigner angefangen, der unsere Internetseiten gra phisch aufpolieren soll: Fabian. Der ist auch so ein geheim nisumwitterter Typ. So eine zwielichtige Aragorn-Varian te, dunkelhaarig, mit Fünf-Tage-Bart und nicht ganz so langen Haaren. Fabian sieht eher aus wie der Vizepräsi dent einer Motorradgang. Beim ersten Anblick würde man nicht vermuten, dass er einen kreativen Beruf ausübt. Es sei denn, das Verschieben geklauter Luxusautos nach Osteuropa fiele in diese Kategorie. Er macht keinen Hehl dar aus, dass er sich den meisten Menschen überlegen fühlt, ist wahrscheinlich sogar aus tiefster Seele Erz-Macho. Trotz dem will die halbe Redaktion mit ihm ins Bett. Und zwar beide Geschlechter. Es ist das Unergründliche in seinen Augen, und man würde ihm vermutlich sogar verzeihen, wenn das erste Rendezvous von zwei Weißrussen unter brochen würde, die unbedingt heute Nacht noch einen Porsche haben wollen. Passiert so was jedoch ständig, ver liert es erheblich an Reiz. Die wenigsten sind Bonny, die ihren Clyde sucht, um am Ende gemeinsam erschossen zu werden. Die Frage ist nur, was suche ich dann?
Es klingelt, und der Postbote bringt mir ein Päckchen. Von Alex! Mein Kochbuch ist da. Auf einer beigelegten Karte entschuldigt er sich rührend für die Verspätung. Es ist eine Kunstpostkarte mit einer Zeichnung von Modig liani, kein Frauen-Akt, sehr geschmackvoll. Ich bin über rascht. Wirklich umgehauen werde ich jedoch von einem Geschenk, dass er als Dankeschön für meine Geduld un ter dem Buch versteckt hat. Eine CD, selbst gebrannt, aber immerhin. »Chili out moods III«. Es ist eine Serie, die ers ten beiden habe ich mir gekauft. Ein geradezu überirdischer Instinkt. Und das von einem Mann, der nicht mehr von mir weiß als die paar Zeilen, die ich ihm per E-Mail geschickt habe.
Bei Dorians Geschenken hatte ich immer den Verdacht, er versuche, einen Weltrekord im Danebenliegen aufzu stellen. Angefangen mit einem Plüschaffen-Bombarde ment, weil er die so süß fand. Er hat erst damit aufgehört, als ich ihm sagte, meine Lieblingskuscheltiere seien eins achtzig groß und gut im Bett. Schenkte er Schmuck, dach te ich immer, er hätte meinen Geburtstag mit dem seiner Oma verwechselt. Ich wollte mal ein Wochenende nach Paris, bekommen habe ich einen Bildband über Venedig. Meine Neigung zum gelegentlichen Fotografieren hono rierte er mit einem Bildband von Helmut Newton. Ab gesehen davon, dass
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