Alice at Wonderland
der spanischen Inquisition. Entweder ich streite ab und lande auf dem Scheiterhaufen, oder ich sage die Wahrheit und lande auf dem Scheiterhaufen. Also die Wahrheit.
»Alt ist er. Und hässlich. Und verheiratet. Und er hat fünf Kinder. Ich nehme das hier.«
Wahllos greife ich in ein Regal und halte einen Porzel lan-Mexikaner in der Hand. Lissy sieht mich an - du verheimlichst doch was -, und nimmt die Nippesfigur ent gegen.
»Bist du sicher, dass ihm das gefällt?«
»Jaja, der steht auf so was. Er hat schon zwei Kakteen und einen Esel.«
Ich lasse es von Lissy in kitschiges Geschenkpapier ein wickeln, bezahle ein Vermögen und verschwinde mit dem sicheren Wissen, wieder mal die Hauptrolle in der ab jetzt unter Volldampf brodelnden Gerüchteküche zu überneh men.
Mein Soll für das tägliche Chaos sehe ich erfüllt, da biegt Jan um die Ecke. Er hat mich nicht gesehen. Also flitze ich in die entgegengesetzte Richtung, schlüpfe in eine Ladenpassage, schlage zwei, drei Haken, verlasse die Passage am rückwärtigen Ausgang und laufe Jan in die Arme. Ich glaube nicht an Schicksal, möchte ich an dieser Stelle betonen. Auch nicht, dass man für kleine Notlügen bestraft wird. Aber nur eine dunkle Macht kann Jan dazu verholfen haben, schneller als ich auf die Rückseite des Geschäftsgebäudes zu kommen. Und er grinst über beide Ohren, weil er weiß, dass ich ihn angelogen habe.
»Nur noch im Büro anzutreffen, hm?«, sagt er und salbt jede Silbe mit Spott.
»Schon mal was von Mittagspause gehört?«, gebe ich etwas pampiger als beabsichtigt zurück.
Er übergeht es und deutet auf mein Geschenk.
Der Porzellan-Sombrero wölbt das Geschenkpapier phallusartig in die Höhe. Lässt spitzenmäßige Spekula tionen zu. Bei mir brauchen peinliche Situationen immer noch ein Sahnehäubchen.
»Das ist nicht zufällig für mich?«, fragt Jan.
»Wieso sollte das für dich sein?« Ich fange an, sauer zu werden. »Wieso sollte ich dir was schenken?«
»Du kannst doch machen, was du willst«, blökt er zu rück, und offensichtlich wird er jetzt auch sauer.
»Tu ich auch!«, sage ich heftig. Mal abgesehen davon, dass ich alles, was ich heute tue, ganz und gar nicht tun wollte.
»Na gut. Dann machen wir ja beide, was wir wollen.«
»Absolut!«
»In Ordnung!«
Er dreht sich auf dem Absatz um und geht. Sauber. Alle Phasen einer Beziehung in knapp fünfzehn gemeinsam verbrachten Stunden. Ekstase, Langeweile, Krach, Tren nung. Das ist Platz zwei direkt hinter Boris. Nur weiter so. Dann schaffe ich es bis zum 35. Geburtstag auf rund zweitausend Affären. Damit sollte ich dann genug haben und kann mich zur Ruhe setzen, umgeben von einer ganzen Armee von Porzellan-Mexikanern. Aber ich will ja nicht mal diesen hier. Ich drücke den verpackten Phallus einem Passanten, einem älteren Herrn, in die Hand.
»Falls Sie Verwendung für so was haben«, sage ich kurz und gehe, begleitet von Schmährufen.
»Unverschämtheit. Flittchen!«
Ich bin ein bisschen aufgewühlt und gehe auf einen Kaffee ins Dezentral. Benny, der schwule Kellner, lächelt mich an und verzieht sein Gesicht kurz zu einer sorgenvollen Miene. Er sieht mir an, dass ich unter Strom stehe. Es ist zum Verzweifeln. Die einzigen Männer, die mich verste hen, wollen partout nicht mit mir ins Bett. Aber er kann mir ganz sicher die eine brennende Frage beantworten.
»Sag mal, kannst du mir mal erklären, wieso das mit den Kerlen immer so ein Theater gibt?«, fragt Benny mich als Erstes, als er mir den Milchkaffee bringt.
Okay, war ja nur so eine Idee. Zumindest weiß ich jetzt, wieso sich Frauen und Schwule so gut verstehen. Benny sieht in mein Gesicht, das so aussehen muss wie ein rie siges Fragezeichen, lächelt und sagt im Gehen: »Versteh schon.«
Ich bin sicher, dass ihm die Nippesfigur gefallen hätte, und ärgere mich, dass ich sie einem undankbaren Rentner
in die Hand gedrückt habe. Ich trinke meinen Kaffee, und anschließend sause ich durch alle Läden der Stadt.
Erst frühabends kehre ich beladen mit geschenktaug lichen Artikeln in meine Wohnung zurück. Ich türme den Krempel auf dem Wohnzimmerboden. Bücher, CDs, Wäsche, Parfüms, Schokolade, Deko-Krams, Gutschei ne, Tischlampen (nicht aus Lissys Laden), Brieftaschen, Schweizer Messer (?) und dergleichen mehr. Ich werde eine Nacht darüber schlafen und es morgen meiner weiblichen Intuition überlassen, was das Richtige für Alex ist. Die hat mich noch nie im Stich gelassen. Der andere Ramsch wird auf die
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