Alice at Wonderland
die beiden womög lich enttäuscht von mir und schreiben mir die gesamte Charakterstärke ab, die ich mühsam mit meinen Lebens mittelkäufen aufgebaut habe. Darüber hinaus haben so wohl Papa als auch Mama sich selbst vor zehn Jahren das Rauchen abgewöhnt und sind mächtig stolz darauf. Also pumpe ich zwei Ampullen Zitrusduft in meinem Wohnzimmer leer und reiße sämtlich Fenster zum Lüften auf. Die Aschenbecher kommen in meinen Nachtschrank, ein bisschen Privatsphäre wird mir sicherlich noch zugebilligt werden.
»Hallo, Murmel, wir sind jetzt am Ortsschild. Das heißt, wir sind in zwölf, maximal dreizehn Minuten bei dir.«
Ich lege auf, gehe in die Küche und fülle Wasser in die Kaffeemaschine. In zwölf bis dreizehn Minuten also. Mein Vater legte schon immer großen Wert auf Pünktlichkeit. Er hat mal einen Arbeitskollegen, mit dem er früher eine Fahrgemeinschaft gebildet hat, niedergeschlagen, nur weil der eine Viertelstunde zu spät kam. Dass der Kollege seine hochschwangere Frau ins Krankenhaus gebracht hatte, er fuhr mein Vater erst viel später. Aber als Entschuldigung hat er das bis heute nicht durchgehen lassen.
Es klingelt an der Haustür, und erst jetzt fällt mir auf, dass ich eine qualmende Zigarette in der Hand halte. Mist. Macht der Gewohnheit. Habe ich gar nicht gemerkt. Geistesgegenwärtig drücke ich die Kippe auf einer Untertasse aus. Offiziell habe ich ja gar keine Aschenbecher. Dann fülle ich etwas Kaffee in zwei Tassen und drapiere sie auf dem Küchentisch. Und einen 5-EuroSchein lege ich auch noch daneben. Das könnte klappen. Meine Nachbarin war hier, um mir das Geld wiederzubringen, das ich ihr geliehen hatte. Wir haben zusammen einen Kaffee getrunken. Und sie ist leider Kettenraucherin. Was will man ma chen ...
Es klingelt erneut. Ich kontrolliere meine Haare im Spiegel, zupfe meinen Rock zurecht und öffne die Tür.
»Hallo, Murmel! Hast du geraucht?«
Meine Erklärungsversuche scheitern, mein Vater kennt den Trick mit den zwei Tassen.
»Das hat deine Mama auch versucht, als sie heimlich wieder angefangen hat«, erklärt er mir.
Dann lassen mich die beiden einfach stehen und begin nen, sich in der Wohnung umzuschauen.
»Schön hast du's hier!«, gibt meine Mutter zum Besten, doch ihre Worte verlieren schnell an Bedeutung, als sie an fängt, ins Detail zu gehen. Die pinken Vorhänge sind ihr
ein wenig zu aufdringlich. Die Stehlampe mit dem Sockel in Form eines Elefanten ist zu kitschig, und meine Ed ward-Hopper-Kunstdrucke beißen sich mit dem Kinopla kat von »Grüne Tomaten«. Mein Vater findet meinen neu en 82-cm-Fernseher zu angeberisch, mein Badezimmer zu klein und rät mir, meine Yuccapalme rauszuschmeißen, da sich darin immer Spinnen aufhalten. Ansonsten gefällt es den beiden aber ganz gut.
Nach der Wohnungsbesichtigung finden wir ein wenig Ruhe bei Kaffee und Kuchen.
»Selbst gebacken, mein Murmel?«
»Ähm, nein. Gekauft.«
»Hab ich mir gedacht. Backen kannst du wohl immer noch nicht!«
Ich will protestieren und von dem Muffin-Rezept er zählen, das ich von Anke Engelke habe, aber da sind die beiden schon bei ihrem Lieblingsthema. Papa und Mama streiten sich darüber, ob ich einen Freund habe. Genau genommen fällt mehrfach das Wort »potenzieller Schwie gersohn«. So wie es hier aussähe, bekäme ich ohnehin keinen, stellt meine Mutter fest, und mein Vater weiß, dass es in der Stadt sowieso nur Schwule gibt. Eine Weile höre ich mir die Diskussion an, bis ich den beiden vorschlage, mich doch einfach direkt zu fragen.
»Also«, wendet sich meine Mutter an mich, «hast du denn nun einen Freund?«
»Nein, aber ...«
Weiter komme ich nicht, denn mein Vater bemerkt, dass ich andernfalls sicher schon etwas gesagt hätte. So sitzen wir ein gutes Stündchen beieinander und plaudern. Drei mal werde ich noch direkt angesprochen und gefragt, was ich denn so eigentlich mache in dieser Redaktion. Wie ich in der Großstadt zurechtkomme, obwohl ich doch eher der Kleinstadttyp sei. Und ob ich eine neue Sammellei denschaft entwickelt hätte, weil im Bad mehrere leere Ampullen Zitrusduft stehen. Die Antworten auf all die Fragen scheinen nicht so recht zu interessieren, denn jedes Mal, wenn ich anfangen will, darauf einzugehen, wenden sich meine Eltern von mir ab und diskutieren darüber, wie viel Sprit ihr Wagen wohl bei hundertfünfzig auf der Autobahn geschluckt hat.
Mein Vater holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und kommt mit der Erkenntnis wieder, dass ich ein
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