Alice at Wonderland
Detail gehen, da ergreift der Sohn des Zeus bereits angewidert die Flucht. Bingo. Wer sagt's denn? Die Masche funktioniert allerdings in der Regel wirklich nur bei gläu bigen Südländern. Der gemeine mitteleuropäische Aufrei ßer würde sich in dem Fall eher zu einem Dreier einladen wollen oder zumindest zu einer Detailschilderung lesbi scher Liebe.
Eine Viertelstunde später bin ich im Büro. Das Compu terproblem ist relativ schnell gelöst. Irgendwie war wohl Kaffee in den Server gelaufen und hat das System zum Absturz gebracht. Nach einer halben Stunde föhnen kann unsere Seite wieder online gehen.
Müde und mittlerweile auch leicht genervt fahre ich nach Hause. Leise schleiche ich in die Wohnung. Meine Eltern schlafen sicher schon. Es ist immerhin weit nach Mitternacht, und daheim gehen die beiden in der Regel di rekt nach dem »heute-journal« ins Bett. Manchmal, wenn Papa schon schläft, steht Mama zwar heimlich wieder auf und schaut »TV Total«, aber vor zwölf ist sie in der Regel auch immer im Bett.
Im Dunkeln tappe ich durchs Wohnzimmer und sto ße gegen die Elefanten-Stehlampe, die krachend umfällt und in Scherben geht. Mist. Meine Mutter muss das Ding
umgeräumt haben. Ich mache Licht an. Die Tür zu mei nem Schlafzimmer steht einen Spalt offen. Doch als ich hineinschaue, stelle ich fest, dass das Bett unberührt ist. Rauchend auf dem Balkon sitzen die beiden auch nicht, und weder in der Küche noch in der Badewanne sind irgendwelche Spuren von ihnen zu finden. Ich beginne mir Sorgen zu machen und rufe Papas Handy an. Es klin gelt ... und zwar neben der Fernbedienung auf dem Fern seher. Sie müssen also hier gewesen sein. Die nächsten zwei Stunden gehe ich nervös rauchend auf und ab, bis ich schließlich die Geduld verliere. Ich alarmiere Polizei und Feuerwehr und telefoniere sämtliche Krankenhäuser ab. Ohne Erfolg. Eine 60-jährige Frau mit Ouzo-Fahne und einen 66-jährigen Mann, der sich darüber aufregt, dass die Kids in der City alle gegelte Haare haben und Goldkett chen tragen, hat keiner gesehen.
Den Rest der Nacht mache ich kein Auge zu. Erst im Morgengrauen übermannt mich die Müdigkeit und ich döse im Sessel ein.
Die Türklingel reißt mich aus dem Schlaf. Bester Laune stehen Mama und Papa vor der Tür.
»Na, Murmel, du siehst müde aus. Da hast du mit deinem Freund wohl ordentlich getobt!«, sagt mein Vater augenzwinkernd und geht an mir vorbei ins Wohnzim mer.
Dass ich mir Sorgen gemacht habe, wollen meine El tern gar nicht hören. Sie hätten ganz andere Probleme. Die vergangene Nacht haben Papa und Mama in einem Hotel am Park verbracht. Damit sie mich hier nicht stö ren und ich sturmfreie Bude habe. Sie hätten ein richtig schönes Zimmer gehabt und auch noch eine Menge Spaß, sagt meine Mutter, und ich erkenne meinen Massagestab in ihrer Handtasche. Am Morgen sei dann allerdings das böse Erwachen gekommen. 350 Euro für ein Doppelzimmer für eine Nacht! Das sei glatte Wegelagerei. Er habe gedacht, das sei der Preis für die komplette Woche, raunt mein Vater mir zu.
»Und bei allem Verständnis für dich und die Bedürfnis se von deinem Freund, mein Murmel, aber wir bleiben die Woche hier bei dir wohnen!«, bestimmt mein Vater, und an seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass es darüber nichts zu diskutieren gibt.
Währenddessen räumt meine Mutter die Scherben der Elefantenlampe weg und bescheinigt mir, dass ich wohl endlich doch zur Besinnung gekommen sei, was meine Geschmacksverirrungen anginge.
Noch eine Woche also. Der Gedanke löst bei mir sofort Magenschmerzen aus, und ich lege mich fiebernd ins Bett. Meine Mutter ist sehr besorgt und macht mir einen Kamillentee mit Zitrone und Honig. Auch eine Hühnersup pe will sie mir kochen, aber ich lehne dankend ab. Ich will nur meine Ruhe. Zum Glück verstehen das meine Eltern und lassen mich allein. Sie beschließen, heute Mittag essen zu gehen.
Während meine Eltern außer Haus sind, überlege ich, was ich anstellen kann, um die folgenden Tage zu über stehen. Leider hatte ich schon alle Kinderkrankheiten. Valium ist rezeptpflichtig, und wenn ich schon frühmor gens anfange, mich zu betrinken, bescheinigen sie mir nur wieder ein charakterliches Defizit. Über meiner Grübe lei schlafe ich ein und werde erst wach, als die Haustür krachend ins Schloss fällt. Ich schrecke hoch und gehe ins Wohnzimmer. Das Gepäck meiner Eltern ist verschwun den. Auf dem Tisch liegt ein Zettel.
Liebes Murmel,
Papa und ich sind
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