Alice at Wonderland
heute nicht zum ersten Mal. »Die Auswahl ist schwie rig. Ich meine, die Party soll harmonisch werden. Wir wollen ja alle Spaß haben.«
»Genau«, sage ich, kippe mein zweites Glas Rotwein, »dazu sind Partys ja da. Oder willst du deine Eltern ein laden?«
Ihr Vater ist Steuerberater und der einzige Mensch auf diesem Planeten, der noch Setzkasten-Figuren sammelt. Der Spaßfaktor ihrer Mutter ist deutlich an der Tatsache abzulesen, dass sie nie daran gedacht hat, sich von diesem Langweiler scheiden zu lassen. Ruth hat die Frage gar nicht gehört. Ich sehe in ihr bedröppeltes Gesicht. So se hen Clowns hinter der Bühne aus.
»Das ist nicht so einfach. Schau mal.« Sie legt die erste Seite auf den Tisch.
»Micha und Ellen sind beide Freunde von mir. Aber sie haben gerade Zoff. Lad ich nur Micha ein, ist Ellen sauer und umgekehrt. Lad ich beide ein, machen die hier Zoff.«
Die beiden bekommen ein Fragezeichen hinter ihre Na men.
»Henry schuldet Piet noch Geld. Wenn Piet kommt, kommt Henry nicht. Wenn ich nur Henry einlade, ist Piet beleidigt. Kommen beide, gibt's wieder Zoff.«
Henry und Piet werden durchgestrichen. Die sollen erst mal lernen, vernünftig mit Geld umzugehen.
»Ralf hat Timmy den Freund ausgespannt, die sind ja schwul, weißte ja. Wenn soll ich da nehmen? Ralf und sei nen neuen Freund? Nur Timmy? Timmy und Ralf? Oder nur den neuen Freund? Alle drei? Mein Gott, das Haus voll zeternder Schwuler. Nee. Oder hier, Carola. Sie ist ganz lieb, aber die macht sich immer einen Spaß daraus, Markus und Nina zu ärgern. Markus ist das egal, er findet's sogar witzig, aber Nina geht an die Decke. Abgesehen da von, dass Nina Ralf und Timmy nicht ausstehen kann.«
»Aber die kommen doch gar nicht«, fall ich ihr ins Wort.
Doch die Verstrickungen nehmen kein Ende.
»Markus und Nina bringen den Kleinen mit...«
»Klein?«, frage ich mit schreckgeweiteten Augen, »dieser Terrorist ist sechs Jahre alt und hat bereits eine Ausbil dung im Libanon hinter sich.«
»Sei nicht so gemein«, sagt Ruth sanft. Kinder sind in ihren Augen immer unschuldig. Ich weiß es besser. »Je denfalls muss ich dann noch andere mit Kindern einla den. Dann hab ich da wieder mindestens acht Leute in der Küche sitzen, die sich die ganze Zeit über Erziehungsme thoden streiten. Graus.«
In dem Punkt muss ich ihr Recht geben. Wenn Eltern sich auf dieses Thema eingeschossen haben, gibt's kein Halten mehr. An diese Verbissenheit kommen nicht mal die Fans konkurrierender Fussballclubs heran.
Ruth fährt ungerührt fort, Namen zu streichen oder mit einem oder zwei Fragezeichen zu versehen, bis wir fast zwei Flaschen Wein intus haben. Und ich habe mich selbst auf der Liste noch nicht mal entdecken können.
»Also, wenn ich das richtig sehe«, sage ich, schon etwas angeschlagen, »gibt's zwei Möglichkeiten. Du bläst die Party ab, alle sind beleidigt, und du wanderst aus nach Us bekistan. Oder du pfeifst auf den Zoff, lädst alle ein und wanderst anschließend aus nach Usbekistan.«
Erwartungsgemäß ist Ruth für praktische Ratschläge nicht zu haben.
»Okay«, sage ich, »aber wirklich! Was machst du dir da für 'n Alarm? Mein Gott, du gibst 'ne Party. Die Leute sollen sich mal ein bisschen zusammenreißen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, mal für 'n paar Stunden den persön lichen Mist zu vergessen und einfach nur zu feiern.«
Ruth sieht mich an, als hätte ich ihr gerade vorgeschla gen, ihre Mutter zu ermorden. Ich ernte ein weiteres: »Das verstehst du nicht.« Und dann vertieft sie sich wieder in den hartnäckigen Versuch, harmonieträchtige Kombina tionen aus der Liste zu filtern.
Nach einer weiteren Flasche Rotwein haben wir nicht einmal eine Pokerrunde zusammen. Und selbst diese Schrumpflösung bietet nur eine vage Chance, dass es nicht zu einer Schlägerei kommt. Also streichen wir auch diese Namen. Nachts gegen halb eins sind wir voll, und die Liste ist so gut wie leer. Denn tatsächlich tauche ich noch an vorletzter Stelle auf. Eine gehörige Menge Navarra hält mich davon ab, beleidigt zu sein. Eigentlich sollte ich. Was fällt ihr ein, mich noch so eben auf ihre Gästeliste zu quetschen? Der fünfte Platz wäre das Mindeste gewesen. Ich bremse mich und rede mir ein, dass Ruth die Liste be stimmt umgekehrt angelegt hat. Sie muss mit dem unsympathischsten Gesellen angefangen haben, um sich langsam zu ihren echten, wahren Freunden durchzuarbeiten. Die Letzten werden die Ersten sein. Die gute Ruth. Ich lie be sie. Ruth
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