Alice at Wonderland
eines, bei dem der Blitz nicht eingeschlagen ist. Es ist alles wie vorher, ohne Beklem mung, Erklärungsversuche und Peinlichkeiten. Als hätten wir wirklich nur über Laotse diskutiert. Oder, sehr viel wahrscheinlicher, über Calvin und Hobbes. Hätte Fabian zu seinem rabiaten Äußeren noch das feinfühlige Innenleben, das durch die Worte von Alex durchscheint, hätte ich mich wahrscheinlich verliebt.
»Also«, sagt Ruth und rückt die Brille wieder nach oben, »ich würde nie was mit 'nem Typen anfangen, der in der einfachen Frage nach der Uhrzeit acht Fremdwörter unterbringt.«
Natürlich würde sie nie. Ruth ist ganz woanders un terwegs. Sie macht in I Ging, Qigong und Feng Shui und noch zwei, drei andere fernöstliche Musikinstrumente. Ruth beschäftigt sich mit Counselling, Rebirthing und Channeling. Ich seh da jetzt keinen großen Unterschied zu Fabians Jargon.
»Und ich«, entgegne ich, »würde nie was mit 'nem Ty pen anfangen, bei dem ich das Gefühl habe, ich würde nicht mit ihm, sondern mit seiner Aura schlafen.«
Ruth ist auch auf der Tantra-Sex-Ebene unterwegs. Ich gebe zu, ich habe da nicht so den Durchblick. Aber immer, wenn sie mir eine ihrer Bettgeschichten erzählt, klingt das so, als wären sie und der Typ gar nicht dabei.
»Du verstehst das nicht«, lautet die lapidare Antwort. »Das hat etwas mit einem höheren spirituellen Bewusstsein zu tun.«
»Wie Feng Shui?«
Ruth zieht leicht beleidigt die Mundwinkel zusammen. Ihr ist der spitze Unterton nicht entgangen. Das mit dem höheren spirituellen Bewusstsein ist nämlich so 'ne Sache. Sie wollte mir dieses Feng Shui-Ding näher bringen und hat mich neulich mal in meiner Wohnung überfallen. Mit einem quietschbunten, bibelähnlichen Büchlein aus ir gendeinem Orient-Shop in der Hand rauschte sie durch Küche, Bad und Wohnzimmer, um nach erster Durch sicht meiner vier Wände felsenfest zu behaupten: »Ganz klar. Du bist ein warmherziges, mütterliches Wesen, das sich im Grunde seiner Seele nach einem geordneten Leben sehnt.« Drei kurze Blicke in ihr Büchlein genügten, um ein Bild von mir zu entwerfen, das Mutter Theresa zu einer Schlampe degradierte. Und dann sagte sie, der Gegenstand, der sich in der äußersten rechten Ecke des äu ßersten rechten Raumes meiner Wohnung befände, würde ein kristallklares Licht auf mein innerstes Bedürfnis wer fen. Der äußerste rechte Raum meiner Wohnung ist das Schlafzimmer, und dass sich in dessen äußerster rechter Ecke ein gebrauchtes Kondom befand, hat sie nachhaltig erschüttert. Ich mag Ruth sehr gerne, aber mein Versuch, die Situation zu retten, war leider nur eine Variante auf das Erdbeermarmeladen-Desaster: »Das gehört mir nicht.« Rein physisch stimmte das ja sogar, ich glaube aber nicht, dass ihr das weitergeholfen hat. Mittlerweile ist sie drü ber hinweg, aber auch nicht mehr so arg voreilig mit ihren Prophezeiungen. Sie weigert sich beispielsweise standhaft, mir aus der Hand zu lesen.
Der beleidigte Zug um ihre Mundwinkel verzieht sich.
»Möchtest du ein Glas Wein?«, fragt sie.
Nanu, kein Tee? Aber ich ahne, wieso. Denn im Ge gensatz zu meiner Handinnenfläche, die einiges Geschick erfordert, kann man sehr leicht in Ruth lesen. Wein vor dem Abendessen bedeutet Probleme. Ruth holt eine Fla sche Roten aus dem Schrank. Zu meinem Entsetzen stehen da noch mindestens zehn weitere Flaschen. Auch wenn Ruths Probleme in den Augen anderer geradezu lächer liche Kleinigkeiten sind, dieses Alkoholkontingent lässt Selbstmordabsichten erahnen.
»Was ist los?«, frage ich.
»Am Samstag geb ich eine Party.«
Sie sagt das in einem Tonfall, den man üblicherweise bei Kondolenzbesuchen verwendet.
»Wo ist das Problem? Oder denkst du etwa jetzt schon daran, wie deine Wohnung nachher aussieht?«
Wortlos holt Ruth einen Stapel Papier hervor, von der Größe des Berliner Telefonbuches.
»Die Gästeliste.« .
Ich krieg die Augen nicht zu. Es gibt Leute, die auf Par tys verzichten, weil sie keine zwanzig Gäste zusammen bekommen. Und dabei ihren Paketboten schon unter der Rubrik »engere Verwandtschaft« eingeordnet haben.
»Die sollen alle kommen?«, frage ich ungläubig. »Ich meine, wo willst du feiern? Im Hauptbahnhof?«
»Es sind alle, die kommen könnten. Ich kann aber nicht alle einladen«, entgegnet sie nüchtern.
»Sei froh. Das wäre keine Party mehr. Den Rummel müsstest du dir als Demonstration genehmigen lassen.«
»Du verstehst das nicht.« Ihr Standard-Vorwurf. Höre ich
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