Alice at Wonderland
bisschen ab.
»Ich komm gestern nach Haus und... weg.« Er schnippst mit dem Finger. »Schränke leer, Koffer weg. Einfach so.«
Ich halbiere mein Interesse auf ein einfaches »Hm«.
»Dabei haben wir vor zwei Tagen noch über einen ge meinsamen Urlaub gesprochen«, macht Sven unbeirrt weiter, »Kanaren oder so. Ich meine, was geht in dieser Frau vor?«
Heimlich sehe ich zur Seite. Wo bleibt Ralf? Das hier ist seine Aufgabe. Woher soll ich wissen, was in Svens Exfreundin vorgeht? Wahrscheinlich ist sie einem Typen über den Weg gelaufen, der ihr gesagt hat, dass sie be stimmt Strapse trägt. Oder sie war schon dreimal auf den Kanaren oder so.
Die Bar füllt sich langsam, aber Sven lässt sich davon nicht abhalten. Er holt weiter aus und erzählt mir haar klein, wann, wo und wie sie sich kennen gelernt haben, nur, damit ich das Ganze besser beurteilen kann. Als er beim Wo angekommen ist, stürze ich meinen Drink in einem Zug runter und bestelle mir etwas mit mindestens neun Zutaten. Das verschafft mir eine kleine Atempause. Natürlich tut es mir Leid, wenn wildfremde Frauen wildfremden Männern davonlaufen. Aber so was erzählt man doch keiner wildfremden Frau. Mein Abend für mich al lein droht in eine Therapiestunde auszuarten. Ich schaue mich kurz um. Vielleicht ist ja doch jemand hier, der mich erlösen kann. Aber nichts. Typisch. Wenn ich meine Ruhe
haben will, treten meine Freunde im Dutzend auf. Brauche ich sie mal, ist natürlich keiner zur Stelle.
Sven ist zurück mit einem kunterbunten Hochprozen ter, in dem ein halber Früchtekorb steckt. Und er knüpft nahtlos an das Wo an.
»Kennst du Viareggio? «
Kopfschütteln.
»Is' jedenfalls 'ne Menge los da im Sommer«, behauptet Sven. Und ich hätte seine Kleine, wie er sagt, da mal sehen sollen, unglaublich süß und wahnsinnig lebenslustig und wie sie dann in der Openair-Disco und so weiter.
Ralf, der Retter, erscheint. Lächelnd schnurrt er an mir vorbei, Küsschen in den Nacken, hi, Alice und kümmert sich ohne weiteres Geplänkel um eine lange Schlange Dürstender, die Sven bis dahin sträflich vernachlässigt hatte. Wild um sich mixend zwinkert er mir spitzbübisch zu. Er glaubt doch wirklich, ich sei gerade dabei, Sven an zumachen, und gibt mir zu verstehen, dass er uns auf gar keinen Fall stören wird. Hatte ich schon das fantastische Gespür der Schwulen für Situationen erwähnt?
Ich wende den ultimativen Trick an. Die Trees Lounge ist inzwischen gut gefüllt, und ich verziehe mich kurz auf die Toilette. Wenn man seinen Platz an der Bar verlässt, ist er Sekunden später garantiert besetzt. Lieber stehe ich den Rest des Abends in der zweiten Reihe, als mir auch noch Svens erste Begegnung mit den Eltern seiner Ex an zuhören. Ich habe Glück: Bei meiner Rückkehr herrscht mächtiges Gedränge. Es gibt nur einen einzigen freien Platz. An der Bar direkt vor meinem alkoholgeschwän gerten Obstsalat. Niemand kommt auch nur in die Nähe des Hockers, als hätte ich dort zwei Kampfhunde zurück gelassen. Ich füge mich in die Lücke, und mein Schick sal. Sven lächelt zum ersten Mal heute Abend. Er hat mir den Platz freigehalten. Aus Dankbarkeit bestelle ich mir noch einen Drink. Oder weil ich noch einen nötig haben werde. Während Sven die Flaschen sucht - ich habe das
Exotischste genommen, das die Karte zu bieten hatte -, schwirrt Ralf kurz heran.
»Hey, ihr scheint ja prima auszukommen«, lacht er.
Dummerweise habe ich gerade die Strohhalme im Mund, und bevor ich was sagen kann, berührt er zärtlich meine Hand: »Find ich klasse. Sven ist ein bisschen runter im Moment. Ich glaub, ihm ist die Freundin abgehauen.«
Sagt's und verdrückt sich an das Kilometer entfernte an dere Ende der Theke.
»Wasssu nich sagst«, nuschele ich durch die Strohhalme hinterher.
Wenn Sven durch die Arbeit vom Reden abgehalten wird, entwickelt er eine gespenstische Geschwindigkeit. Schneller als erwartet steht er mit meinem Tropical Lady killer wieder vor mir. Ich schiebe ihm das Glas zu.
»Probier mal 'n Schluck. Du kannst das, glaub ich, ge brauchen.«
Ich komme mir vor wie Eva mit dem Apfel. Das erste Mal in meinem Leben versuche ich, einen Barkeeper be soffen zu machen.
»Nicht während des Jobs«, lehnt er kategorisch ab.
Und ich hör schon das Hufgetrappel dessen, was auf so einen Satz notwendigerweise folgen muss: >Aber wir kön nen gerne nach Feierabend noch ...< Verblüfft registriere ich, dass das Befürchtete ausbleibt. Sven will mich nicht
Weitere Kostenlose Bücher