Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
Gründen etwas Besonderes. Erstens war es das kleinste, schlichteste Gebinde, das sie je erhalten hatte: ein bescheidenes Sträußchen makelloser gelber Ringelblumen. Und zweitens waren es die ersten Blumen, die sie sich nicht selbst geschickt hatte. Der Schreck war so groß, dass sie sich erst mal auf ihr bemanteltes Hinterteil setzen und die Blüten ausgiebig bestaunen musste.
Sollten Sie je einen Freund brauchen … Maurice Lazenby, stand auf der beigefügten Karte.
In Audreys Brust flackerte eine kleine, wohlig warme Flamme auf. Stundenlang hatte sie Haltung wahren und eine unbeteiligte Maske aufsetzen müssen, und nun kamen ihr fast die Freudentränen angesichts dieser unerwarteten Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal seit Jahren hatte die Menschheit sie angenehm (und nicht wie sonst unangenehm) überrascht, und sie schämte sich fast, wenn sie daran dachte, wie sie immer die Augen verdreht hatte, wenn es hieß, Maurice sei am Apparat. Wie hatte sie sich doch in ihm geirrt! Er war überhaupt kein ewig nörgelnder Jammerlappen. Er war ein echter Gentleman. Altmodisch, etwas tüdelig und mit vollkommen unrealistischen Vorstellungen seine Traumfrau betreffend vielleicht. Aber im Grunde genommen ein netter, hilfsbereiter Gentleman.
Sie griff zum Telefon, um sich bei ihm zu bedanken. Es war der erste echte Anruf des ganzen Tages.
»Gern geschehen!«, sagte er höflich. »Ehrlich gesagt, habe ich mich gefragt, ob ich Sie möglicherweise morgen zum Mittagessen einladen dürfte, damit Sie ein bisschen rauskommen aus Ihrem Büro.«
Audrey zögerte, ein wenig verunsichert, ob sie sich auf derart unbekanntes zwischenmenschliches Terrain begeben sollte. Ihr Blick fiel auf die Blumen, und sie musste an das Taschentuch und die tröstliche Wärme seines Arms um ihre Schulter denken.
»Tja, es wäre sicher ganz nett, ein bisschen rauszukommen aus dem Büro«, stimmte sie zu.
»Dann ist es also abgemacht. Soll ich Sie gegen zwölf Uhr dreißig bei Table For Two abholen?«
Audrey wollte ihm schon sagen, er solle lieber draußen auf sie warten – die Mädchen könnten sich hinter ihrem Rücken über sie lustig machen, wenn sie erfuhren, dass ihre Chefin mit Maurice zum Mittagessen ging –, aber dann überlegte sie es sich anders. Ich werde jetzt ein netterer Mensch , sagte sie sich streng.
Sie stand auf und nahm die Handtasche und den Katzenkorb für Pickles. Und wieder geschah etwas Unerwartetes: Alice stürzte in ihr Büro.
»Jetzt nicht, Alice«, sagte Audrey so beiläufig wie möglich. »Ich muss los, es ist wirklich dringend. Ich habe überhaupt keine Zeit.«
»Ach so. Verstehe.«
Alice sah aus, als hätte man ihr allen Wind aus den Segeln genommen. Erst da fiel Audrey auf, wie blass und müde sie wirkte; keine Spur mehr vom Glamour des vergangenen Abends. Sie trug wieder Strick. Es war, als wäre das alles nie passiert und die natürliche Ordnung sei wiederhergestellt.
»Darf ich Ihnen das nur schnell geben? Sie können es ja dann später lesen.« Nervös reichte Alice ihr einen Umschlag. Nickend nahm Audrey ihn entgegen und verstaute ihn in der Manteltasche.
»Ich muss jetzt wirklich los. Ich muss meine Katze abholen, wissen Sie.«
»Ja, selbstverständlich.«
Audrey ging zur Glastür.
»Audrey …?«, setzte Alice an.
Irgendwas an ihrer Stimme ließ Audrey innehalten und sich zu ihr umdrehen.
»Es tut mir leid«, sagte Alice leise.
Ein kurzes Schweigen entstand, als den beiden Frauen die gewichtige Bedeutung dieser vier kleinen Worte klar wurde.
Audrey nickte, dann stürmte sie hinaus, raus aus ihrem Büro und aus der Agentur. Erst im Bus auf dem Weg zum Tierarzt holte sie den Umschlag heraus, und da sah sie dann, dass er Alice’ Kündigung enthielt. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Sheryl
S heryl schlüpfte auf den Sitz ihres roten Cabrios, überprüfte im Rückspiegel den Lippenstift und ließ den Motor beim Anlassen unnötig laut aufheulen. Ein Blick auf die Uhr. Sie hatte noch jede Menge Zeit.
Flink bahnte sie sich den Weg durch den gerade einsetzenden Berufsverkehr, warf kokett die Haare in den Nacken und tat, als bemerke sie die Blicke der anderen Autofahrer nicht, die sie auf sich zog. Sheryl liebte den Frühling. Und den Sommer. Und den Herbst. Der Winter war eigentlich die einzige Jahreszeit, die sie nicht leiden konnte. Lange Rocksäume und die unausgeprochene Moderegel, das Dekolleté unter mehreren Lagen widerwärtig dicker Wollstoffe verbergen zu müssen. Doch nun, da
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