Alicia II
mich entschlossen, die dritte in Muße zu verbringen. Da es meine letzte sein kann, möchte ich alles genießen, was ich mir immer gewünscht und dessen ich mich selbst beraubt habe.«
»Sie wollen sich aus dem Programm streichen lassen?« erkundigte ich mich. Streichung aus dem Programm war wie »Selbstmord« eine Umschreibung, daß ein Erneuerter oder Natürlicher Verzicht auf eine weitere Lebensspanne leistete.
»O nein, so ist es nicht!« protestierte Pierre. »Ich wünsche mir so viele Lebensspannen, wie ich bekommen kann. Ich gehöre nicht zu diesen Schwächlingen, die Skrupel haben, den Körper eines anderen in Besitz zu nehmen. O nein, o nein. Ich rechne nur deswegen nicht mit einer neuen Chance, weil die Vorzeichen ungünstig sind.«
»Die Vorzeichen?«
»In den zweieinhalb Jahrhunderten, die ich auf dieser alten Erde verbracht habe, hat sich mein Gespür für Geschichte gut entwickelt. Es sagt mir, daß Kräfte, die sich meiner Kontrolle entziehen, sich auf Kollisionskurs befinden, und der letztendliche explosive Zusammenstoß wird nicht nur meine Chancen auf eine neue Lebensspanne, sondern auch die vieler anderer beträchtlich mindern. Zappeln Sie nicht herum, Oswald, Sie wissen, was ich um diese Tageszeit verlange, und bringen Sie auch ein Glas für meinen neuen Freund hier.«
Diese letzte Bemerkung war an einen Kellner gerichtet, der einen ziemlich aufgeregten Eindruck machte. Als er sich von uns entfernte, war ihm deutlich anzumerken, daß er etwas sehr Subversives bezüglich der Welt des Dienstleistungsgewerbes dachte. Ich verstand seine Stimmung. Insgeheim faßte ich den Entschluß, wenn mir Pierres »Übliches« nicht schmecken sollte, es in denselben Blumentopf zu gießen, den er für meinen Espresso benutzt hatte.
»Ich bin Vossilyev Geraghty«, stellte ich mich vor.
»Ich weiß, wer Sie sind. Vor ein paar Wochen ist über Ihre Raumreisen ausführlich berichtet worden. Damals wollte ich Sie aufsuchen, aber irgendein unhöflicher junger Mann sagte mir, Sie seien nicht zu sprechen.«
»Das muß Stacy gewesen sein.«
»Wer muß Stacy gewesen sein?«
»Der unhöfliche junge Mann. Wie Sie ihn nannten.«
»Ich hoffe, Sie werden ihn niemals zu einer Verabredung mit mir mitbringen.«
»Was macht Sie so sicher, daß ich mich überhaupt mit Ihnen verabreden werde?«
»Überzeugung, lieber Junge. Ich überzeuge mich immer selbst, daß geschehen wird, was ich haben möchte. Und für gewöhnlich geschieht es.«
Ich war versucht zu sagen, die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber ich entschloß mich, mein Urteil noch zurückzuhalten.
»Ich verstehe nicht ganz, wie Ihr Gespür Sie informieren kann, daß Sie einer weiteren Lebensspanne beraubt werden sollen.«
»Das erkläre ich Ihnen gelegentlich. Genießen wir erst einmal unser Zusammensein. Ich gieße selbst ein, Oswald.«
Der Kellner hatte uns zusammen mit zwei ziemlich großen Schwenkern eine Flasche Courvoisier gebracht. Madling öffnete die Flasche und goß mit außerordentlicher Sorgfalt ein.
Dabei sprach er weiter: »Aus meinem privaten Vorrat, von dem ich einen Teil in die unsicheren Hände dieses Cafes legen mußte, weil ich keinen eigenen Lagerraum besitze. Es ist ein angenehmer Brandy, nicht so gut wie manche anderen, die in unserer Zeit unglücklicherweise nichtexistent geworden sind, aber ein gutes Beispiel der Kunst seiner Zeit. Na denn Prost, lieber Junge, obwohl ich einen Toast bei Brandy immer überflüssig gefunden habe.«
Er stimmte seinen Schluck zeitlich auf meinen ab und sah mich über den Rand seines Schwenkers mit seinen wässerigen Schweinsaugen an. Ich mußte mir eingestehen, daß der Courvoisier gut war und daß ich keinen Grund
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