Alicia II
daherschwimme. Natürlich war nichts zu sehen. Das hatte ich gewußt. Ich hatte gewußt, daß keine Spuren zu entdecken waren, aber ich mußte danach suchen. Ich wollte mich vergewissern.
Ich wandte mich von dem Füllstutzen ab, raste die Stufen hinunter und rannte den Gang entlang, obwohl mir klar war, daß ich ruhig und gesetzt wirken mußte. Ich versuchte, die seltsamen Blicke zu ignorieren, die mir die gelegentlich vorbeigehenden Arbeiter zuwarfen. Ich bewegte mich zu schnell weiter, als daß sie den Gedanken, was ich wohl vorhätte, zu Ende führen konnten.
An der nächsten Station war ein Techniker beschäftigt. Ich hielt mich eine Weile vor einem der geschwärzten Behälter auf, versuchte, hineinzusehen, tat so, als gehöre seine Kontrolle zu meinen üblichen Pflichten. In seinem Inneren, wußte ich, lag ein Gehirn, ein bloßes Gehäuse für die Seele oder den Geist oder das Gespenst, das sein Gefängnis, wenn ich die Mission erfolgreich weiterführte, niemals mehr verlassen würde. Ich wünschte mir, die undurchsichtige dunkle Oberfläche mit meinen Blicken zu durchdringen, damit ich wenigstens mehr als ein geistiges Bild von dem hatte, was ich vernichtete. Ich weiß nicht, welchen Unterschied das gemacht hätte. Das Gehirn hätte genauso ausgesehen, wie ich erwartete, genauso, wie ich es vor meinem geistigen Auge sah.
Der Techniker verließ die Station und ging an mir vorbei, ohne mich anzusehen oder mir eine Frage zu stellen. Dafür war ich dankbar. Wenn ein anderer mich angehalten hätte, besonders ein so netter Mensch wie Flo, wäre ich vielleicht nicht länger fähig gewesen, in meiner Rolle zu bleiben.
Vielleicht hätte ich sagen müssen, ich bin ein Eindringling, ich bin hier, um eure kostbaren Schutzbefohlenen zu vernichten.
Hindert mich daran, wenn ihr es könnt, haltet mich auf. Sobald der Mann fort war, rannte ich die Stufen hinauf und vollführte zum zweiten Mal anmutige Handbewegungen über der Trichteröffnung. Wieder schnippte ich mit Daumen und Zeigefinger, wischte die Hand an meinem Laborkittel ab und raste die Stufen hinunter.
Meine Erinnerungen daran, wie ich den Mikrostaub in die Füllstutzen verteilte, ist verzerrt. Ich sehe mich selbst wie einen Ballettänzer die Gänge entlangschweben, an den richtigen Punkten haltmachen, mich auf die Zehen erheben, meine Hand schwenken und den Schlafstaub, das Geschenk des massenmordenden Sandmanns, herausfallen lassen, den Strom des Lebens hinuntertreiben, auf seiner sanfte Wellen schlagenden Oberfläche fortschwimmen. Natürlich benahm ich mich nicht so trottelhaft. Obwohl ich zu schnell ging, die Stufen zu hastig nahm, erledigte ich die Arbeit ohne tänzerische Anmut und mit sachlicher Tüchtigkeit. Mein mit Absorber-Wissen gefülltes Gehirn dachte nicht mehr, es funktionierte bloß noch.
Vielmehr es funktionierte, bis ich um eine Ecke bog und den anderen Schatten sah oder vielleicht den gleichen, den wir eben erst in den Besenschrank gestopft hatten. Er stand in meinem Weg, hielt Stacy fest und drückte eine Waffe gegen Stacys Hals. Die Waffe kam mir als die größte Pistole vor, die ich je gesehen hatte, massig, mit verschwommenen Umrissen.
Ich konnte meine Augen nicht darauf konzentrieren.
»Bleiben Sie stehen, wo Sie sind«, sagte der Mann zu mir. Ich hatte nicht daran gedacht, irgend etwas anderes zu tun. Sein Gesicht hatte den Ausdruck erschreckender Stupidität angenommen.
»Ich kann mir nicht vorstellen, welche Gemeinheit ihr vorhabt«, sagte er. »Aber was es auch sein mag, dies ist das Ende davon.«
Im Geist rechnete ich nach, wie groß der Teil meiner Aufgabe war, den ich erledigt hatte. Wohl das meiste, schätzte ich. Wenn die
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