Alicia II
hinkende, narbengesichtige Frau in die Arme zu nehmen, sie an mich zu drücken und ihr zu sagen, nein, alles sei nicht okay. Aber ich nickte nur.
»Das muß es gewesen sein. Die Gespensterangst.«
»Natürlich. Jeder Beruf hat seine Alpträume, und das ist unserer.«
»Mir geht es wieder gut. Ich werde jetzt – äh – mit meiner Arbeit weitermachen.«
»Mein Name ist Flo. Forschung und Entwicklung. Mein Büro ist im nächsthöheren Stockwerk, schauen Sie gelegentlich mal herein. Ich habe genug starken Stoff, um die Gespensterangst zu verscheuchen.«
»Stoff?«
»Harten Stoff, wie er manchmal genannt wird. Bis später.«
Sie klopfte meinen Arm ein paarmal, bevor sie ihn endgültig losließ. Als sie fortging, stellte ich fest, daß sie mit ihrem verkürzten Bein gut zurechtkam. Ihr Hinken war fast unmerklich. Sie trug einen kurzen Rock, als sei sie stolz auf beide Beine. Das gute war wohlgeformt, das kurze ein bißchen dick um den Knöchel.
Ich stieg die Stufen hinauf. Ich sah mein Ziel, den Einfüllstutzen, früher, als es mir lieb war. An einer Stelle der Rohrleitung, die die Seelenbehälter miteinander verband, führte ein dreieckiges Stück in ein kleines, ummanteltes Faß.
Das Faß hatte eine trichterförmige Öffnung, aus der Proben der zirkulierenden Flüssigkeit zu Prüfungszwecken entnommen werden konnten. Von Zeit zu Zeit wurde die Zusammensetzung der Flüssigkeit durch Beifügung verschiedener Stoffe verändert, die unwirksam werdende Ingredienzien wieder aktivierten und die Nährstoffe im richtigen Gleichgewicht hielten. Ich stand vor dem Füllstutzen, starrte hinein und hoffte, in der umlaufenden Flüssigkeit irgend etwas Vernünftiges zu sehen. Sie sah nach nichts anderem aus als nach umlaufender Flüssigkeit; ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Wie so viele meiner Absorber-Informationen erwies sich auch diese als vollkommen korrekt.
Ich blieb eine Weile stehen, versuchte, amtlich auszusehen, und entfernte währenddessen vorsichtig den ersten Gegenstand an meiner Kleidung, der den Mikrostaub enthielt. Einen Knopf. Ich nahm ihn in die Finger und war erstaunt, wie leicht er zerkrümelte. Ich hatte gedacht, ich müsse mehr Druck ausüben. Ich meinte, bei den vorbereitenden Tests mit dem Mikronium hätte ich mehr Kraft angewandt. Dann spürte ich die Anspannung in meinen Fingern und wußte, warum der Knopf sich so leicht in Staub verwandelt hatte. Ich blickte in meine Hand. Da war sie, meine Waffe. Der ganze Staub klebte an meinen schweißigen Fingern. Einmal tief ausatmen, und ich würde ihn wegblasen. In der gedämpften Beleuchtung des Gewölbes wirkte er dunkelblau. Ich bog meine Finger ein und verbarg den Mikrostaub vor einem zufälligen Blick. Als wolle ich das Funktionieren der Trichteröffnung kontrollieren, fuhr ich mit der Hand um ihren Rand, faßte aber noch nicht hinein.
Mein Herz raste. Anscheinend hatte einer der Geister, von denen Flo erzählt hatte, von mir Besitz ergriffen. Nein, nicht einer, mehrere. Nun, sagte ich zu mir – oder zu ihnen –, ihr könnt mich nur noch als Geister verfolgen. Ich werde euch jetzt für immer und endgültig töten, wenn töten der richtige Ausdruck dafür ist.
Ich hob meine Hand von dem Rand, öffnete die Faust und sah zu, wie der Staub in die Flüssigkeit fiel. Einige Körnchen trieben einen Augenblick auf der Oberfläche, dann verschwanden sie. Ein bißchen Staub klebte noch an meinem Zeigefinger. Ich schnippte ihn mit dem Daumen in den Stutzen hinunter. Auch wenn der Finger jetzt sauber war, mußte ich ihn an meinem Laborkittel abwischen.
Ich versuchte zu erkennen, ob sich die Flüssigkeit verändert habe, ob sie eine abweichende Farbe zeige, ob ein Schwarm Staubkörnchen
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