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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Thurston
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hin­un­ter.
    Da ich den all­ge­mei­nen Grund­riß des Raums kann­te, we­nigs­tens in Form ei­ner Blau­pau­se, wuß­te ich, daß mein ers­ter Hal­te­punkt nur ein paar Me­ter, nur ein paar Schrit­te wei­ter ent­fernt lag. Ich be­gann, lang­sa­mer zu ge­hen, ob­wohl es mich dräng­te, die ver­damm­te Sa­che zu En­de zu brin­gen. Zu bei­den Sei­ten er­ho­ben sich über mir Re­gal­wän­de mit zahl­lo­sen Un­ter­tei­lun­gen. Auf ih­nen stan­den die ge­schwärz­ten Be­häl­ter, die die Ge­hir­ne und See­len mei­ner Op­fer be­her­berg­ten. Ich blick­te nach oben und konn­te die obe­re Kan­te nicht se­hen. Ich kam mir wie in ei­ner him­mel­ho­hen Bi­blio­thek vor. Plötz­lich, ehe ich mir klar­ge­macht hat­te, daß ich dem Punkt so na­he war, fand ich mich am Fuß ei­ner klei­nen Trep­pe, die zu dem ers­ten Füll­stut­zen für die Nähr­lö­sung führ­te. Ich zö­ger­te. Die Spit­ze mei­nes Schuhs stieß ge­gen die ers­te Stu­fe, be­reit, sich aus ei­ge­ner Macht­voll­kom­men­heit wie­der zu­rück­zu­zie­hen.
    Viel­leicht brauch­te ich gar nichts zu tun, dach­te ich. Ich konn­te Sta­cy sei­ne Hälf­te der Missi­on aus­füh­ren las­sen, was ei­ne ge­nü­gend zer­stö­re­ri­sche Wir­kung zei­ti­gen wür­de, und nie­mand er­fuhr je­mals, daß ich mich ge­drückt hat­te. Es hät­te den An­schein, als ob wir bei­de dar­an be­tei­ligt ge­we­sen wä­ren. Nur in­ner­lich wür­de ich wis­sen, daß ich nicht schul­dig war. Nicht schul­dig? Nein, un­mög­lich. Auch wenn ich kein Gran Mi­krostaub in den Stut­zen fal­len ließ, auch wenn ich mei­nen gan­zen Vor­rat in den nächs­ten Müll­ei­mer warf, wä­re ich selbst­ver­ständ­lich eben­so schul­dig. Ich war hier, oder nicht?
    Ei­ne Hand auf mei­nem Arm riß mich aus mei­nen Ge­dan­ken.
    Ich sah in das Ge­sicht ei­ner jun­gen Frau. Es war ein nar­ben­be­deck­tes Ge­sicht. Ei­ne Wan­ge sah aus, als sei sie ein­mal mit zwei sich kreu­zen­den Mes­ser­sti­chen auf­ge­schlitzt wor­den. Wenn sie nicht zu­erst ge­spro­chen hät­te, wä­re mir viel­leicht die Fra­ge ent­schlüpft, ob auch sie einen sa­bo­tier­ten Kör­per ge­erbt ha­be.
    »Stimmt ir­gend et­was nicht, Freund?« frag­te sie. Ihr Lä­cheln schi­en, ob­wohl es freund­lich ge­meint war, die Form der Mes­ser­nar­ben zu imi­tie­ren.
    »Nur ein Schwin­del­an­fall, tut mir leid.« Ich forsch­te in ih­ren trü­ben ha­sel­nuß­brau­nen Au­gen nach auf­däm­mern­dem Arg­wohn.
    »Ge­spens­terangst.«
    »Was?«
    »Ge­spens­terangst. Sie wis­sen schon. Oder sind Sie neu hier?«
    »Ich bin – äh – erst kur­ze Zeit hier.«
    Sie drück­te ein Klam­mer­brett an ih­ren Kör­per, als sei es ein Schutz­schild. Ich be­merk­te, daß sie schief stand, und dann sah ich, daß ihr ei­nes Bein kür­zer war als das an­de­re.
    »Ja, uns wird al­len ab und zu schwin­de­lig. Wir nen­nen es Ge­spens­terangst. Das sind die Geis­ter. Nichts als Aber­glau­be. Das Ge­fühl, un­se­re Schutz­be­foh­le­nen könn­ten ih­ren Häus­chen ent­rin­nen und für kur­ze Zeit in uns ein­fah­ren. Be­ses­sen­heit durch Geis­ter, das hat ei­ne al­te Tra­di­ti­on. Sie sind so­eben von der Ge­spens­terangst be­rührt wor­den. Ei­ne die­ser See­len fühl­te sich von Ih­nen an­ge­zo­gen und hat Sie für einen Au­gen­blick be­ses­sen, das ist al­les.«
    Sie gab sich so viel Mü­he, freund­lich und be­ru­hi­gend zu sein, daß ich mich mei­nes kör­per­li­chen Ab­scheus vor ihr schäm­te.
    Es war mir auch nicht klar, warum ich Ab­scheu emp­fand. Ich hat­te schon Nar­ben, schon Krüp­pel ge­se­hen, oh­ne zu­rück­zu­zu­cken. Warum kam mir ge­ra­de die­se Frau so ab­sto­ßend vor? Dann sah ich sie ge­nau­er an und er­kann­te den Grund. Un­ter den Nar­ben äh­nel­te sie Ali­cia. Ei­ne va­ge Ähn­lich­keit, ja, aber ei­ne Ähn­lich­keit. Als sei­en Ali­ci­as bes­te Zü­ge ir­gend­wie zu­sam­men­ge­drückt und auf ei­nem brei­te­ren Ge­sicht an­ge­bracht wor­den, als ha­be man ihr Haar streng fri­siert, ih­ren Kör­per stäm­mi­ger ge­macht und ein Bein wei­ter hin­ein­ge­schraubt. Und da stand sie und be­rühr­te mei­nen Arm und ver­si­cher­te mir, al­les sei okay. Plötz­lich wünsch­te ich mir, die­se

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