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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Thurston
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nä­her­te. Ich sah zu Ma­ry hin­über, die von der Sei­te her auf die Büh­ne blick­te, Kum­mer im Ge­sicht. Dau­ernd rieb sie sich die Stel­le gleich un­ter ih­rem lin­ken Au­ge, so daß sich dort ein ro­ter Fleck bil­de­te. Zwei Schau­spie­le­rin­nen gin­gen durch den Zu­schau­er­raum. Je­de trug einen klei­nen, pur­purn und gelb ge­streif­ten Kas­ten. Als die ei­ne an mir vor­bei­kam, bot sie mir an, mit mir Kar­ten, Schach, Da­me oder ir­gend­ein an­de­res Spiel zu spie­len, das die Auf­merk­sam­keit von dem Haupt­dra­ma ab­len­ken wür­de. Sie mach­te den Vor­schlag zu­erst mit sinn­li­cher Stim­me, dann in der Art ei­nes flie­gen­den Händ­lers, der sei­ne Wa­ren aus­ruft. Rechts von uns nahm ein ver­ängs­tig­ter Mann das An­ge­bot der an­de­ren Ver­käu­fe­rin an.
    Sie be­gan­nen mit ei­nem Spiel, die Köp­fe sorg­fäl­tig von der Büh­ne weg­ge­dreht.
    Einen Au­gen­blick frü­her, als die Schau­spie­le­rin auf der Büh­ne end­gül­tig auf­hör­te, im über­trie­be­nen To­des­kampf um sich zu schla­gen, trat bei mir ein plötz­li­cher Ge­fühl­sum­schwang ein. Tiefer Kum­mer lief in ei­ner Wel­le über mich hin. Ma­rys Kum­mer schi­en ver­schwun­den zu sein, denn jetzt lä­chel­te sie. Es ver­wirr­te mich, daß wir so un­ter­schied­lich auf die glei­che Sze­ne rea­gier­ten. Die Schau­spie­le­rin lag still, und der Mann be­gann, durch den Zu­schau­er­raum zu stol­zie­ren. Ei­ne Tür in der De­cke öff­ne­te sich, und Bal­lons se­gel­ten her­nie­der. Der Chor tanz­te im Stil ei­nes klas­si­schen Bal­letts. Zu­erst tanz­ten sie um das to­te Mäd­chen her­um, dann ho­ben sie es hoch und ga­ben es von Tän­zer zu Tän­zer wei­ter. Ich emp­fand Er­he­bung und rausch­haf­te Be­geis­te­rung. Mein Kopf war plötz­lich voll von Ge­dich­ten, die ge­le­sen zu ha­ben ich mich nicht er­in­nern konn­te, ob­wohl ich si­cher war, daß sie aus klas­si­schen Quel­len stamm­ten. Zu­sam­men mit dem Chor fei­er­te ich (und ver­mut­lich das gan­ze Pu­bli­kum) den Tod. Of­fen­bar lie­fer­te die Ma­schi­ne­rie des Kis­sens meh­re­re Im­pul­se gleich­zei­tig, denn ich war mir auch der Tat­sa­che be­wußt, daß das, was ich fei­er­te, ei­ne tra­di­tio­nell re­li­gi­öse Be­trach­tung des To­des war.
    Un­ge­ach­tet mei­nes ei­ge­nen re­li­gi­ösen Zy­nis­mus war ich jetzt über­zeugt, daß, ganz gleich, wie blu­tig und schmerz­haft der Tod der Schau­spie­le­rin ge­we­sen war, die ihr zu­teil ge­wor­de­ne Ver­klä­rung al­les recht­fer­tig­te. Der Schau­spie­ler, von dem ich wuß­te, daß er ihr Mör­der war, blieb vor Ma­ry und mir ste­hen.
    Er starr­te auf mich her­un­ter und sag­te: »Sie hat einen an­stän­di­gen Tod ge­habt, nicht wahr?«
    Es setz­te mich nicht nur in Ver­le­gen­heit, daß mich ein Schau­spie­ler an­sprach, der in der Hand­lung sei­nes Stückes hät­te blei­ben sol­len, es war mir auch un­be­hag­lich zu Mu­te, weil er mich mög­li­cher­wei­se durch­schaut, in mir den dre­cki­gen Er­neu­er­ten, der ich in sei­nen Au­gen war, er­kannt hat­te. Die­ses Ge­fühl zu­sam­men mit ein biß­chen Ver­wir­rung drang in die Freu­de und Ek­sta­se ein, die das Kis­sen aus­sand­te.
    »Ein Tod vol­ler Glo­rie, nicht wahr?« fuhr er fort.
    Ich nick­te, und mir war, als di­ri­gie­re er mich an Schnü­ren.
    Ich war mir va­ge be­wußt, daß auch Ma­ry nick­te.
    »Sir, Sie se­hen aus wie ei­ne wei­se Eu­le. Ge­ben Sie Ih­ren Kör­per heu­te hin, las­sen Sie sich von mir tö­ten, vor Ih­rer Zeit, be­vor das Bein­haus Sie be­kommt. Brin­gen Sie das Sys­tem um einen wei­te­ren Kör­per, und wir ha­ben es ein wei­te­res Mal ge­schla­gen. Kom­men Sie, über­las­sen Sie sich mir. Ich kann Ih­nen vie­le er­freu­li­che und schmerz­haf­te Ab­schie­de von die­ser Welt zur Aus­wahl stel­len.«
    Ich drück­te mich ge­gen mein Kis­sen und fürch­te­te, je­de Mi­nu­te ster­ben zu müs­sen. Ma­ry tat eben­so. Ganz of­fen­sicht­lich hat­te auch sie Angst vor sei­nem An­ge­bot. Ich konn­te nicht er­ken­nen, ob un­se­re Angst na­tür­lich oder uns von den Kis­sen über­mit­telt war. Statt wei­ter zu drän­gen, lä­chel­te der Schau­spie­ler.
    »Nein, na­tür­lich wer­den

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