Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Thurston
Vom Netzwerk:
Sie mein An­ge­bot nicht an­neh­men, nie­mand tut das. Wir al­le ste­hen in eben die­ser Mi­nu­te vor dem Bein­haus an.«
    Die Au­gen des Man­nes schie­nen von ei­nem in­ne­ren Licht zu leuch­ten. Um ih­nen zu ent­ge­hen, sah ich wie­der auf die Büh­ne.
    Die Schau­spie­le­rin wur­de im­mer noch in der Rei­he der Tän­zer wei­ter­ge­ge­ben. Einen Au­gen­blick lang war ich über­zeugt, sie sei wirk­lich tot, der Schau­spie­ler ha­be ihr sein An­ge­bot ge­macht, und sie ha­be es an­ge­nom­men. Ich zwang mich, mich vor­zu­beu­gen, weg von dem Kis­sen. Dies­mal ver­lie­ßen mich mei­ne Ge­füh­le nicht so schnell. Der Schau­spie­ler lä­chel­te breit.
    »Hör auf zu schwit­zen, Jun­ge. Du lebst, und sie lebt auch.«
    Plötz­lich er­wach­te die Schau­spie­le­rin. Sie sprang auf den Bo­den hin­un­ter, und die Far­be kehr­te in ihr Ge­sicht zu­rück. Sie rann­te den Mit­tel­gang ent­lang auf mich zu und ließ sich vor un­serm Ab­teil auf den Bo­den glei­ten. Sie faß­te mei­nen Kopf und küß­te mich fest auf den Mund, und der Schau­spie­ler lach­te da­zu. Sein La­chen war teils fröh­lich, teils be­lei­di­gend, als ver­spot­te er so­wohl den Tod als auch mich. Wäh­rend die Schau­spie­le­rin mich küß­te, drück­te sie mich sanft wie­der ge­gen das Kis­sen. Ih­re Zun­ge drang kurz in mei­nen Mund ein und hin­ter­ließ dort den Ge­schmack nach Blut, ei­ne Wir­kung, die ich der Sen­sor-Aus­rüs­tung nicht zu­ge­traut hät­te. Aber ich war si­cher, daß der Ge­schmack nicht re­al war.
    Die Schau­spie­le­rin er­hob sich, mach­te ein paar an­mu­ti­ge Bal­lett­schrit­te und nahm einen Bal­lon auf, der ihr vor die Fü­ße roll­te. Sie warf ihn mir zu, und ich schlug ihn zu­rück. Ob­wohl das Kis­sen Glück­se­lig­keit aus­strahl­te, emp­fand ich im Ge­gen­satz da­zu ech­te Furcht. Die Art, wie die­se Dar­stel­ler sich auf mich kon­zen­trier­ten, jag­te mir Angst ein. Was wuß­ten sie?
    War die Tat­sa­che, daß ich nicht hier­her­ge­hör­te, so auf­fal­lend?
    Die üb­ri­gen Mit­glie­der des En­sem­bles schlen­der­ten durch den Zu­schau­er­raum und wie­der­hol­ten den Bal­lon­wer­fakt mit an­de­ren. Oh­ren­be­täu­ben­de Mu­sik brüll­te los. Die Schau­spie­ler rea­gier­ten dar­auf, in­dem sie au­to­ma­ten­haft zur Haupt­büh­ne zu­rück­kehr­ten. Ei­ner von ih­nen re­zi­tier­te ein Ge­dicht über die Be­deu­tungs­lo­sig­keit des To­des in je­dem Le­bensal­ter und kam zu dem vor­her­seh­ba­ren Schluß, daß der dik­tier­te Tod ei­nes Aus­ge­mus­ter­ten ei­ne Be­lei­di­gung ge­hei­lig­ter mensch­li­cher Wer­te sei. Ob­wohl ich die Poe­sie schlecht fand, zwang der Kis­sen­ap­pa­rat Trä­nen in mei­ne Au­gen. Ich spür­te ei­ne Schön­heit in den Zei­len, die ich ver­stan­des­ge­mäß nicht zu er­fas­sen ver­moch­te. Es war schlimm ge­nug, daß man wäh­rend ei­nes scheuß­li­chen Stücks still sit­zen­zu­blei­ben hat­te, aber dar­auf auch noch in ei­ner Wei­se rea­gie­ren zu müs­sen, die der ei­ge­nen In­tel­li­genz fremd war, das war un­er­träg­lich. Arg­wohn däm­mer­te in Ma­rys Au­gen auf, als ich mich vor­beug­te, des­halb gab ich mir Mü­he, so drein­zu­bli­cken, als bil­li­ge ich das, was ich sah. Ich ließ mich auch wie­der zu­rück­sin­ken.
    Nach zwei iro­ni­schen Ab­sät­zen, die die Schlan­ge vor dem Bein­haus und den un­mit­tel­bar be­vor­ste­hen­den Tod be­leuch­te­ten, wur­de die Schau­spie­le­rin, die mich ge­küßt hat­te, von den an­de­ren nach vorn ge­scho­ben. Sie hielt in dem Thea­ter Um­schau, als fra­ge sie sich, was sie hier tue, und dann be­gann sie zu sin­gen. Ih­re Stim­me war zart und kind­lich. Sie schwank­te bei den ho­hen Tö­nen und wur­de bei den nied­ri­gen zum Flüs­tern. Aber sie war schön, und auch das Lied war schön. Die Me­lo­die war kon­ven­tio­nell, bei­na­he klas­sisch. Der Text war ein­fach. Al­le an­de­re Mu­sik, die ich bis­her in mei­nem neu­en Le­ben ge­hört hat­te, war schrill und un­an­ge­nehm ge­we­sen. Das Lied der Schau­spie­le­rin wirk­te nicht nur durch sei­ne mu­si­ka­li­sche Schön­heit, son­dern auch durch die Art, mit der es die Trau­rig­keit ei­nes in­di­vi­du­el­len To­des, des

Weitere Kostenlose Bücher