Alicia II
Todes der Sängerin, als einzigartige tragische Angelegenheit behandelte – ganz im Gegensatz zu der übertriebenen und polemischen Weise, mit der man sich in dem übrigen Stück mit dem Tod befaßte. Selbst als ich mich vorbeugte, empfand ich die Schönheit des Liedes und der Sängerin immer noch. Als ich sie aus der Nähe gesehen, als sie mich geküßt hatte, war ich der Meinung gewesen, sie besitze eine nymphenhafte, aber nicht außergewöhnliche Attraktivität. Nun erschien sie mir als blasse, vollkommene Vision der Schönheit. Während sie sang, liebte ich sie (und dabei war ich mir stets bewußt, daß mir das Gefühl zumindest teilweise aufgedrängt wurde), und ich wollte nicht, daß sie sterben mußte, niemals. Es drängte mich mit aller Macht, sie zu retten, sie vor den Beinhaus-Räubern zu verstecken. Aber, dachte ich, jeder wurde gefunden, wenn man ihn suchte. Ich begann zu weinen, und Mary weinte auch. Von meinen Gefühlen mitgerissen, machte ich den alles entscheidenden Fehler. Unter Schluchzen stieß ich hervor: »Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid …«
Ich hätte erkennen müssen, daß Mary und die anderen Zuschauer auf das Lied reagierten, indem sie über ihr eigenes Schicksal weinten. Ich war der einzige im Publikum, der laut um Verzeihung flehte. Ich konnte nicht aufhören hinauszubrüllen, wie leid es mir tue, selbst als mein Rücken keinen Kontakt mehr mit dem Kissen hatte. Ich merkte nicht gleich, daß die Sängerin ihr Lied unterbrochen hatte und mich anstarrte. Ich führte die Hände an mein Gesicht und wischte mir die Tränen ab.
Neben mir fing Mary an, leise zu lachen.
Ich sah sie an. Sie saß aufrecht, ein sieghaftes Strahlen in den Augen, und ich wußte, was sie sagen würde. Ich stand auf und versuchte, die Ausgänge zu entdecken.
»Ich wußte es doch, du bist ein Wackelpeter!« schrie Mary. »Ich wußte es eher als Sam, verdammt noch mal! Ich habe ihm das Zeichen gegeben, als wir alle zusammensaßen.«
Ich begann, aus dem Bodenloch hinauszuklettern. Mary stand auf.
Im ganzen Raum starrten die Zuschauer mich an, die Augen gerade über Fußbodenniveau. Sie sahen wie Kinder aus, die aus Verstecken hervorlugen. Mary wandte sich um und gab ein auffälliges Handzeichen. Die beiden Männer, die sie mir als Sams Gorillas gezeigt hatte, rannten auf mich zu, die Fäuste geballt, die Augen von Tränen überfließend.
Ich rannte zur Bühne hin, auf der die Schauspieler jetzt wirr durcheinanderliefen. In dem Versuch, in Richtung auf einen Ausgang abzubiegen, stolperte ich und rutschte auf dem gebohnerten Fußboden aus. Ich fiel beinahe in ein Fußbodenloch. Die beiden darin sitzenden Leute drückten sich an die gegenüberliegende Wand und streckten die Hände aus, als wollten sie sich vor der Berührung durch ein Seuchenopfer schützen. Ich wollte aufstehen, aber meine linke Hand glitt unter mir weg, und einer der Gorillas trat darauf. Der andere faßte mich hinten beim Kragen und hätte mich in die Höhe gerissen, wenn sein Partner nicht auf meiner Hand gestanden hätte. Der Kragenhalter grunzte, und der Fußzermalmer gab meine Hand frei. Als ich mehr oder weniger wieder auf den Füßen stand, boxte mir der eine in den Magen, und der andere hieb mir in den Rücken. Ich fiel nach hinten und erhielt einen heftigen Tritt in den Brustkorb. Während ich noch unten war, wurde ich von dem Mann, der zuvor meinen Kragen gepackt hatte, zweimal ins Gesicht geschlagen. Ein großer Ring an seiner mächtigen Faust riß mir die Haut auf. Ich sah das Blut an seiner Hand, als er sie für den nächsten Schlag zurückzog.
Gleichzeitig widmete sein Partner sich der Aufgabe, meinen Körper zu bearbeiten. Er ließ harte Knüffe auf meinen Magen und meine Lenden
Weitere Kostenlose Bücher