Alicia II
verkürzt, und das sei Sünde in Seinen Augen. Später sagte sie, während Er uns den Himmel öffne, verdamme er diejenigen, die sich unsere Körper aneigneten, zur Hölle. Siehst du, deshalb drängt es euch so zur Unsterblichkeit. Sobald ihr euer Recht auf Erneuerung aufgebt oder verliert, kommt ihr in die Hölle, wo euch all das über die Jahrhunderte angesammelte Leid zuteil wird.«
»Puh! Das ist ziemlich starker Tobak. Für mich ist es besser, ich glaube nicht an deine Religion. Der Gedanke an hoffnungslose ewige Verdammnis gefällt mir gar nicht.«
»Aber du bist nicht auf ewig verdammt. Nicht unbedingt!«
Ich trat einen Schritt von Bru zurück. Bekehrungseifer leuchtete aus ihren Augen, das geistliche Allheilmittel klang aus ihrer sanften, aber wohlgeschulten Stimme.
»Du hast die Fähigkeit zu bereuen. Wenn du dein Leben widerrufst und deinen Körper aufgibst, um die Seele seines rechtmäßigen Besitzers zu befreien, und den Wegen deiner Art entsagst, kannst du vor der Hölle errettet werden – und nach einer Zeit der Schmerzen, die der Schwere deiner Sünden entspricht, wirst auch du in den Himmel eingelassen.«
»Das ist gnädig, kann man sagen.«
Ihre Stimme, die auf der Bühne so weich und einschmeichelnd geklungen hatte, war jetzt die harte und mächtige Stimme des echten Gläubigen. Oder des Fanatikers.
Ich begann um meine Sicherheit zu fürchten. Vielleicht sollte ich versuchen, wieder auf die Straße zu gelangen. Ich hatte es bereits geschafft, Marys Absichten falsch zu deuten. Wie konnte ich bei Bru, meiner Retterin, sicher sein?
»St. Ethel brachte uns die Botschaft während eines und eines halben Jahrzehnts ihres Lebens. In dieser Zeit sagte sie nicht nur zukünftige Ereignisse voraus, sowohl Katastrophen als auch rein persönliche Geschehnisse, sie wirkte bei Gelegenheit auch Wunder.«
»Wunder …«
»Ich weiß schon, was du sagen willst. Du willst dich darüber lustig machen. Wunder sind ebenfalls Tradition. Gott gewährt uns Wunder, damit wir die Wahrheit erkennen. Sie sind ein kurzes Aufblitzen der Wahrheit, bestimmt für diejenigen, die sie sehen und verstehen können. St. Ethel heilte Kranke. Sie legte die Hände auf Köpfe und Körper leidender Kinder und sagte zu ihnen: „Du wirst geheilt, damit dein Körper bis zu der Zeit erhalten bleibt, wo das Beinhaus zu dir kommt, und dann möge deiner Seele nach einer langen Zeit der Qual Erlösung werden.“«
»Hmmm, ich finde, für das Kind wäre es besser gewesen, zu sterben – und seine Seele ebenso wie seinen Körper vor der Entwürdigung des Erneuerungsprozesses zu retten.«
Bru blickte siegesbewußt drein. Ich hatte ihr in die fanatischen Hände gespielt.
»Genau diese Frage wurde ihr gestellt, und sie antwortete, wir müßten unsere Leiden ertragen, um des Himmels würdig zu werden. Wahrscheinlich willst du jetzt wieder einwenden, das sei nur die Wiederholung eines Glaubensgrundsatzes, der vielen früheren Religionen gemeinsam ist.«
»Ich habe es gedacht, aber ich wollte es nicht aussprechen.«
Etwas von diesem Zeloteneifer verschwand aus ihren Augen.
»Tut mir leid, ich wollte nicht heftig werden. Du mußt verstehen, daß ich mich ausschließlich mit dem kurzen Leben, das ich habe, beschäftige, und deshalb habe ich Augenblicke, in denen ich mich hinreißen lasse. Entschuldige.«
»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Erzähle mir mehr über deine Heilige. Was ist ihr widerfahren?«
Auch über diese Frage freute sie sich. Echos einer Litanei hallten in ihrer Stimme wider, als sie fortfuhr. Das Licht Gottes glänzte auf ihrem Gesicht und war richtig sexy.
»Als Ethel älter wurde, Anfang Zwanzig war, sagte sie, sie müsse dem Tod vor ihrer Zeit
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