Alicia II
zurückzuziehen.
Vielleicht brauchte ich gar nichts zu tun, dachte ich. Ich konnte Stacy seine Hälfte der Mission ausführen lassen, was eine genügend zerstörerische Wirkung zeitigen würde, und niemand erfuhr jemals, daß ich mich gedrückt hatte. Es hätte den Anschein, als ob wir beide daran beteiligt gewesen wären. Nur innerlich würde ich wissen, daß ich nicht schuldig war. Nicht schuldig? Nein, unmöglich. Auch wenn ich kein Gran Mikrostaub in den Stutzen fallen ließ, auch wenn ich meinen ganzen Vorrat in den nächsten Mülleimer warf, wäre ich selbstverständlich ebenso schuldig. Ich war hier, oder nicht?
Eine Hand auf meinem Arm riß mich aus meinen Gedanken.
Ich sah in das Gesicht einer jungen Frau. Es war ein narbenbedecktes Gesicht. Eine Wange sah aus, als sei sie einmal mit zwei sich kreuzenden Messerstichen aufgeschlitzt worden. Wenn sie nicht zuerst gesprochen hätte, wäre mir vielleicht die Frage entschlüpft, ob auch sie einen sabotierten Körper geerbt habe.
»Stimmt irgend etwas nicht, Freund?« fragte sie. Ihr Lächeln schien, obwohl es freundlich gemeint war, die Form der Messernarben zu imitieren.
»Nur ein Schwindelanfall, tut mir leid.« Ich forschte in ihren trüben haselnußbraunen Augen nach aufdämmerndem Argwohn.
»Gespensterangst.«
»Was?«
»Gespensterangst. Sie wissen schon. Oder sind Sie neu hier?«
»Ich bin – äh – erst kurze Zeit hier.«
Sie drückte ein Klammerbrett an ihren Körper, als sei es ein Schutzschild. Ich bemerkte, daß sie schief stand, und dann sah ich, daß ihr eines Bein kürzer war als das andere.
»Ja, uns wird allen ab und zu schwindelig. Wir nennen es Gespensterangst. Das sind die Geister. Nichts als Aberglaube. Das Gefühl, unsere Schutzbefohlenen könnten ihren Häuschen entrinnen und für kurze Zeit in uns einfahren. Besessenheit durch Geister, das hat eine alte Tradition. Sie sind soeben von der Gespensterangst berührt worden. Eine dieser Seelen fühlte sich von Ihnen angezogen und hat Sie für einen Augenblick besessen, das ist alles.«
Sie gab sich so viel Mühe, freundlich und beruhigend zu sein, daß ich mich meines körperlichen Abscheus vor ihr schämte.
Es war mir auch nicht klar, warum ich Abscheu empfand. Ich hatte schon Narben, schon Krüppel gesehen, ohne zurückzuzucken. Warum kam mir gerade diese Frau so abstoßend vor? Dann sah ich sie genauer an und erkannte den Grund. Unter den Narben ähnelte sie Alicia. Eine vage Ähnlichkeit, ja, aber eine Ähnlichkeit. Als seien Alicias beste Züge irgendwie zusammengedrückt und auf einem breiteren Gesicht angebracht worden, als habe man ihr Haar streng frisiert, ihren Körper stämmiger gemacht und ein Bein weiter hineingeschraubt. Und da stand sie und berührte meinen Arm und versicherte mir, alles sei okay. Plötzlich wünschte ich mir, diese hinkende, narbengesichtige Frau in die Arme zu nehmen, sie an mich zu drücken und ihr zu sagen, nein, alles sei nicht okay. Aber ich nickte nur.
»Das muß es gewesen sein. Die Gespensterangst.«
»Natürlich. Jeder Beruf hat seine Alpträume, und das ist unserer.«
»Mir geht es wieder gut. Ich werde jetzt – äh – mit meiner Arbeit weitermachen.«
»Mein Name ist Flo. Forschung und Entwicklung. Mein Büro ist im nächsthöheren Stockwerk, schauen Sie gelegentlich mal herein. Ich habe genug starken Stoff, um die Gespensterangst zu verscheuchen.«
»Stoff?«
»Harten Stoff, wie er manchmal genannt wird. Bis später.«
Sie klopfte meinen Arm ein paarmal, bevor sie ihn endgültig losließ. Als sie fortging, stellte ich fest, daß sie mit ihrem verkürzten Bein gut zurechtkam. Ihr Hinken war fast unmerklich. Sie trug einen kurzen Rock, als sei sie stolz auf beide Beine. Das gute war wohlgeformt, das kurze ein bißchen dick um den Knöchel.
Ich stieg die Stufen hinauf. Ich sah mein Ziel, den Einfüllstutzen, früher, als es mir lieb war. An einer Stelle der Rohrleitung, die die Seelenbehälter miteinander verband, führte ein dreieckiges Stück in ein kleines, ummanteltes Faß.
Das Faß hatte eine trichterförmige Öffnung, aus der Proben der zirkulierenden Flüssigkeit zu Prüfungszwecken entnommen werden konnten. Von Zeit zu Zeit wurde die Zusammensetzung der Flüssigkeit durch Beifügung verschiedener Stoffe verändert, die unwirksam werdende Ingredienzien wieder aktivierten und die Nährstoffe im richtigen Gleichgewicht hielten. Ich stand vor dem Füllstutzen, starrte hinein und hoffte, in der umlaufenden Flüssigkeit irgend
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