Alicia II
als sie mich mit der Frage, ob Stacy und ich homosexuelle Partner seien, völlig aus dem Konzept brachte.
Erst meinte ich, mich verhört zu haben. Die Frage kam so plötzlich, so aus heiterem Himmel, und ich sagte: »Wie bitte?«
»Ich denke schon seit Tagen darüber nach, und ich hatte erwartet, du würdest es mir von selbst sagen. Da du es nicht tust, frage ich eben. Das ist nicht böse gemeint. Du brauchst mir nicht zu antworten. Bitte, tu es nicht, wenn du es nicht möchtest.«
»Nein, das ist es nicht. Ich würde es dir sagen, wenn es so wäre. Ich … ich bin überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen, daß …«
Bei meiner Erklärung, nicht homosexuell zu sein, kam ich mir lächerlich vor. Meine Verwirrung beunruhigte Alicia.
»Dann bist du also nicht so, Voss. Okay.«
»Abgesehen von Ben Blounte ist Stacy der beste Freund, den ich je gehabt habe.«
»Ich würde Ben Blounte gern einmal kennenlernen.«
»Ich werde dafür sorgen.«
»Tu das. Ich schäme mich meiner Gewohnheit, persönliche Fragen zu stellen. Aber es ist keine reine Neugier. Manches muß ich einfach erfahren, ich weiß selbst nicht, warum. Ich hatte einmal ein homosexuelles Erlebnis. Ich war vierzehn, das andere Mädchen vielleicht ein Jahr älter. Sie fing an, aber ich ermutigte sie. Ich glaube, eigentlich kann man es kein richtiges homosexuelles Erlebnis nennen. Es wurde ein bißchen geleckt und ein bißchen gefummelt, aber alles nur versuchsweise und nicht sehr erfolgreich.«
»Du brauchst mir nicht …«
»Ich versuche dir klarzumachen, daß ich jede Frage beantworten würde, die du mir über mich stellst. Du kannst offen mit mir sprechen.«
»Es besteht kein Grund, in der Vergangenheit zu wühlen, wenn …«
»Oh, aber das habe ich vor. In der Vergangenheit zu wühlen, meine ich. Ich möchte über dich Bescheid wissen. Ich werde dir weitere Fragen stellen. Ich will alles erfahren, verstehst du. Das ist nichts, wovor du Angst zu haben brauchst. Du sollst nur deine Seele vor mir bloßlegen. Wie ich es umgekehrt auch tun würde.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das ein faires Abkommen ist.«
»Das ist es nicht. Ganz bestimmt nicht. Es soll ja auch nicht meine obszöne Neugier befriedigen.«
»Alicia, dazu gibt es gar keinen Grund. Ich will deine dunklen Geheimnisse ebensowenig wissen, wie ich möchte, daß du meine erfährst. Ich …«
»Aha, du hast also dunkle Geheimnisse. Das ist schon einmal ein Anfang.«
»Wir haben es nicht nötig, zu …«
»Doch, Voss, doch.«
»Warum?«
»Nun, ich hätte diese Frage gern noch etwas zurückgestellt. Aber jetzt ist sie aufgetaucht, und ich muß sie dir beantworten.« Sie führte ihr Weinglas an die Lippen, neigte es ein wenig und nahm einen winzigen Schluck. Dann sagte sie: »Ich liebe dich, Voss, darum. Noch eine Frage?«
Obwohl sie ehrlich zu sein versuchte, ging ihre Absicht gleichzeitig dahin zu täuschen. Während sie mir ihre Liebe erklärte, wartete sie gespannt und ein bißchen lauernd auf meine Reaktion. Nur meine jahrelangen Erfahrungen mit den unverhüllten Erklärungen anderer gaben mir die Kraft, ihr ein steinernes Gesicht zu zeigen.
»Na gut, treten wir den Rückzug an«, meinte sie nach langem Schweigen. »Zu einer anderen Zeit wollen wir in anderer Art auf das Thema zurückkommen. Feuern Sie, wenn Sie bereit sind, Gallstone. Willst du mir bitte noch etwas Wein eingießen?«
Ihr Glas war noch beinahe voll. Sie war gereizt und ziemlich aus der Fassung gebracht. Unsere Beziehung war in eine neue Phase eingetreten. Ich wollte nicht, daß Alicia wütend wurde, und doch war ich selbst wütend. Mir hatte unsere Freundschaft gefallen, wie sie war, und ich nahm es Alicia übel, daß sie es wagte, etwas daran zu ändern. Als ich ihr nachgoß, zitterte meine Hand, und ich verschüttete Wein auf das Tischtuch.
Beinahe sofort erschien ein Kellner, um ihn wegzuwischen.
Alicia wollte seine Hilfe nicht und verhinderte seine Bemühungen. Ungerührt breitete er eine Stoffserviette über den Fleck.
»Jesus Christus und St. Ethel!« stöhnte Alicia.
»Um was ging es da überhaupt?«
»Dieser Mann! Er sollte nicht bedienen müssen. Er sollte den Dreck ungeschickter oder betrunkener Gäste nicht wegwischen müssen.«
»Was war ich von beidem?«
»Von welchen beiden?«
»War ich betrunken oder ungeschickt?«
»Mein Gott, Voss, ich habe nicht dich im besonderen gemeint. Ich meinte mich ebenso wie dich oder sonstwen. Deshalb gehe ich so ungern in Restaurants oder an irgendeinen
Weitere Kostenlose Bücher