Alien 2: Verborgene Harmonien
sagen. Aber er hat mir nie gesagt, was sie damit
vorhaben. Ich glaube, es hat was mit dem Narbigen zu tun.«
»Mit dem Schamanen.«
»Vielleicht führen sie hier den neuen in sein Amt ein,
wenn der alte gestorben ist. Die meisten Abos leben nur an die
zwölf Jahre oder so. Nur die Narbigen werden viel älter.
Die Schädel sind schon hier, solange ich zurückdenken kann.
Weiter unten am Hang gibt es sie haufenweise. Ich vermute, die alten
werden einfach weggeworfen, wenn der Platz für neue gebraucht
wird. Ab und zu kommt ein Abo vorbei, richtet die umgestürzten
Pfähle wieder auf und schneidet das Gras zurück. Ich tue
das auch immer, so oft ich die Möglichkeit dazu habe.«
»Ein Ritual, eine Zeremonie, zu einem bestimmten Zweck, aus
einem besonderen Anlaß! Jonthan, begreifst du, was das
bedeutet? Es könnte der Beweis dafür sein, daß die
Aborigines tatsächlich intelligente Wesen sind. Dein Vater hat
niemand davon erzählt?«
»Nur mir, und auch nicht sonderlich viel. Vielleicht
hätte er Webster mehr erzählt, wenn er ihm begegnet
wäre. Aber Webster starb, bevor Broken Hill gegründet
wurde. Manchmal lebte er einige Zeit hier draußen – er
liebte diesen Ort, Doktor. Ich habe ihn hier beerdigt und Blumen von
der Erde auf sein Grab gepflanzt. Sie brauchen nicht so viel Pflege
wie die Kartoffeln, denn der Leichnam in der Erde hält die
hiesigen Pflanzen von dem Stückchen Boden fern.«
»Warum erzählst du mir das?«
»Sie können doch jederzeit die Stadt verlassen, nicht
wahr? Ich dachte, Sie könnten vielleicht gelegentlich wieder
hierherkommen und nach dem Rechten sehen.«
»Nun, ich würde dir gern helfen…«
De Ramaira wurde von dem heiseren Flüstern des
weißbärtigen Patriarchen unterbrochen. »Sie
würden gern helfen?« Er und alle anderen Gefangenen
einschließlich der Kinder starrten de Ramaira an. Der Mann
wiederholte seine Frage. »Sie würden gern helfen? Da
wüßte ich einen Weg.«
»Ich habe nicht mal ein Messer, von einem Gewehr ganz zu
schweigen«, flüsterte de Ramaira zurück. »Sind
Sie verrückt geworden?«
»Wer spricht denn von Gewalt?« antwortete der
Bärtige. »Greifen Sie in meine Tasche, in die linke. Nun
machen Sie schon, die Cops sehen im Moment nicht her. Tun Sie’s
nur ganz beiläufig. Gut so. Haben Sie es?«
Ein Knäuel Papier. De Ramaira entfaltete es und
schüttelte einige schwarze, ölige Samenkörner auf
seine Handfläche.
»Wir bewahren sie auf für den Fall, daß uns alles
danebengeht. Ich möchte, daß Sie ein Korn davon in unseren
Wein werfen, den die Cops gerade trinken.«
»Sie sind wirklich verrückt!« De Ramaira drehte die
Hand und ließ die Samen auf den Boden rollen. »Ich werde
mich doch nicht an einem Mordkomplott beteiligen. Selbst nicht gegen
diese miesen Typen da vorn.«
»Von Mord kann keine Rede sein. Nur ein Samenkorn in den
Ballon – und sie sind eine Zeitlang außer Gefecht. Das ist
alles. Wir werden ihnen nichts antun, sondern nur schauen, daß
wir hier wegkommen. Glauben Sie mir, ich habe in meinem ganzen Leben
nicht einmal eine Lüge ausgesprochen, und ich werde auch jetzt
nicht damit anfangen. Ihnen macht es doch nichts aus, diese
Dummköpfe für einige Zeit aus dem Verkehr zu ziehen,
stimmt’s? Oder wollen Sie, daß der Junge in den Minen
verschwindet? Kein schöner Ort, Erdenmann.«
»’erdammt wahr!« grollte Sam.
»Willst du, daß wir es versuchen?« fragte de
Ramaira den Jungen.
Jonthan sah zu dem Lieutenant hinüber, dann wieder zu de
Ramaira. »Der Mann hat recht mit dem, was er über die Minen
sagt.«
Seufzend begann de Ramaira die Samenkörner vom sandigen Boden
aufzulesen. Der Patriarch lächelte.
Als de Ramaira sich neben Sinclair auf den Boden hockte, schlug
ihm der Cop gönnerhaft auf die Schulter und brummte: »Wir
werden gleich ein gottverdammtes Zielschießen veranstalten.
Können Sie schießen?« Er hatte dem Wein fleißig
zugesprochen und war offenbar leicht betrunken. Neben ihm schob
Müller dicke Patronen in das Magazin eines Jagdgewehrs.
De Ramaira schüttelte Sinclairs Hand ab und antwortete leise:
»Das Schießen überlasse ich lieber den Profis.«
In seiner geschlossenen Hand fühlte er die Samenkörner.
Der Regen hatte inzwischen deutlich nachgelassen, das Unwetter war
fast völlig abgeflaut. Draußen im Kartoffelfeld setzte
Kelly gerade ein paar Schädel auf ihre Pfosten. In Reih und
Glied aufgereiht, schienen sie in der einsetzenden Dämmerung
höhnisch zur Höhle herüberzugrinsen. De
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