Alien 2: Verborgene Harmonien
Lampenlicht eine aufgedunsene Maske. Als sie
lächelte, platzten die Lippen auf, und aus den Rissen quoll
dunkles Blut. »Ich werde euch nicht aufhalten, Leute«,
sagte sie. »Euch habe ich nichts zu sagen – Jonthan
ausgenommen. Hör zu, Junge! Ich weiß, daß das hier
dein Platz ist, und der deines Vaters. Aber in den Minen kannst du
seinem Angedenken wenig nutzen. Bewahr es in deinem Herzen und geh
mit. Ich werde nach seinem Grab schauen, auch wenn ich mich nicht
regelmäßig darum kümmern kann. Und Sie, Doktor,
machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde über Ihre Rolle in
diesem Spielchen Stillschweigen bewahren.«
Der Patriarch steckte die Pistole weg, die er gezogen hatte, und
befahl seinen Leuten, die Pferde bereitzuhalten.
»Warum tun Sie das?« fragte de Ramaira den
Lieutenant.
»Sie werden es verstehen, wenn Sie lange genug hier
leben.« Ihr Lächeln wirkte gespenstisch. »Hören
Sie zu«, wandte sie sich an den Patriarchen. »Ich kann
behaupten, ich sei die ganze Zeit bewußtlos gewesen. Der Doktor
da kann das nicht. Damit er keine Schwierigkeiten bekommt, sollten
Sie sich ein wenig um ihn kümmern. Verstehen Sie, was ich
meine?«
»Sicher«, sagte der Mann, schwang trotz seines Alters
blitzschnell herum und versetzte de Ramaira mit der Faust einen
harten Schlag gegen die Schläfe. Der Hieb wurde durch die
Knöchelschoner zwar ein wenig gemildert, doch in der
nächsten Sekunde stürzte de Ramaira in ein bodenloses
Loch.
Zwei Monate später kehrten de Ramaira und Lieutenant McAnders
zum Eingeborenendorf zurück. Die schweren Regenfälle waren
vorüber, und das Gras der Hochebene hatte die Farbe gewechselt,
war nun ein endlos grünes Meer, das unter den kalten Winden
erstarrte, die von den Trackless Mountains herüberwehten. De
Ramaira stieg in Sichtweite des Dorfes vom Pferd und holte das
eingewickelte Paket aus der Satteltasche. Die hohen
Blütenstände der Gräser schlugen, während er auf
das Dorf zuging, gegen den Saum seiner Jacke. Er empfand ein
plötzliches Unbehagen, das ihn nervös machte. Aber er
mußte sein Vorhaben durchführen. Das war er Jonthan
schuldig.
Die Aborigines erstarrten zu Stein, als er an ihren Hütten
vorbei zum Platz in der Dorfmitte ging, wo die dürre, gebeugte
Gestalt des Schamanen auf untergeschlagenen Beinen am Boden hockte.
»Ich bringe Euch das hier, damit Ihr seht, was damit geschah,
damit Ihr wißt, was ersetzt werden muß«, sagte de
Ramaira. »Was passiert ist, tut mir leid.« Er legte das
Bündel auf den Boden und öffnete es, zeigte dem Alten die
zerschmetterten Knochenstücke. Einige trugen noch Spuren roter
Farbe.
»Es tut mir leid«, wiederholte er und wartete mit
klopfendem Herzen auf ein Zeichen des Verstehens. Auf eine Bewegung,
ein Geräusch, einen Schlag – auf irgend etwas.
Aber der Eingeborene saß regungslos wie zuvor. Nach einer
Weile verließ de Ramaira das Dorf und kehrte mit leeren
Händen durch das hohe Gras zu der wartenden Frau
zurück.
»Ich glaube, ich werde sie nie begreifen«, sagte er,
während sie davonritten, »und daher nie wissen, ob sie
intelligent sind. Nach Jonthans Bericht glaubte ich es – und als
ich ihren Friedhof sah. Aber der könnte schließlich auch
von Jonthans Vater angelegt worden sein, nach all dem, was ich
weiß.«
»Und was wissen Sie wirklich? Daß das alles doch nur
ein Haufen Unsinn ist«, antwortete der Lieutenant und drehte
sich zur Seite, um ihren Zigarrenstummel auszuspucken. Danach fuhr
sie sich mit dem Handrücken über den Mund. »Habe nie
geglaubt, daß ich mal so reden würde, David – aber
wer soll sich schon mit diesen Halbwilden auskennen? Wir werden zu
ihnen durchdringen, mit ihnen reden. Vielleicht nicht in
nächster Zeit. Aber irgendwann – das fühle
ich!«
»Ich glaube nicht, daß ich Sie jemals begreifen
werde, Lieutenant – viel weniger die Aborigines«, erwiderte
de Ramaira lachend. »Ich weiß nur, daß ihr alle
Aliens seid. Ich glaube nicht, daß ich einen von euch jemals
verstehen lernen werde.«
Darin irrte er. Aber es sollten mehr als ein Dutzend Jahre
vergehen, ehe er schließlich die Wahrheit erfuhr.
1 Der Leichnam am Strand
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Als der Helikopter um die äußere Landzunge der Bucht
schwenkte, hatte Miguel gerade noch Zeit, sein Bündel zu greifen
und unter einem Rankengewirr wilden Weins in einem Einschnitt der
Dünenkuppe Deckung zu suchen. Er huschte unter das schwankende
Blätterwerk mit den weißen Blüten, doch es war schon
zu spät. Der
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