Alien 2: Verborgene Harmonien
Der Mann ging mit
hängenden Schultern davon.
Rick machte sich auf den Rückweg zum Amphitheater. Er dachte
daran, wie er mit seinem Vater zum erstenmal in die Stadt gegangen
war. Damals war er fünfzehn gewesen. Sie waren über den
Markt geschlendert und hatten sich die handwerklichen Erzeugnisse,
Schnittblumen und organisch erzeugten Lebensmittel angesehen.
Krüge, Töpfe, Möbel – all die Dinge, die die
Leute aus den Siedlungen in die Stadt brachten, um sie zu verkaufen.
Der Vater war neben ihm hergegangen, Sinnbild des Vertrauten,
während sie sich durch die Menge eleganter, phantastisch
gekleideter Fremder drängten. Dann war Ricky einen Moment zu
lange an einem Stand stehengeblieben, an dem apathische Kragenechsen
in Weidenkäfigen zum Kauf angeboten wurden. Im nächsten
Moment mußte er feststellen, daß sein Vater verschwunden
war, und irgend etwas in seiner Brust zerriß und
hinterließ ein schmerzhaftes Vakuum. Ein ähnliches
Panikgefühl ergriff ihn auch jetzt, als er vorsichtig um die im
Sand Liegenden herumging. Alles Fremde, nicht ein vertrautes
Gesicht!
Er hörte die Musik einen Augenblick, bevor die Markise in
sein Blickfeld kam. Das Mädchen und die Zuschauer am Trampolin
waren verschwunden. Nur zwei Jungen hüpften vorsichtig auf dem
straff gespannten weißen Rechteck und hielten sich gegenseitig
an den Schultern fest. Eine Menschenansammlung drängte sich am
Eingang zu dem abgezäunten Bereich vor dem Amphitheater.
Dicht beim Zaun lag Cath allein im Sand. Eine Hand bedeckte die
Augen, die andere hielt das halbvolle Glas auf ihrer Hüfte. Der
Grat ihres Hüftbeins zeichnete sich deutlich unter dem kurzen
Wickelrock ab.
»He«, murmelte sie, als Rick sich neben sie setzte.
»Du kannst nicht sehr weit weg gewesen sein. Oder bin ich
eingeschlafen? Jemand sagte mir, du wolltest nach de Ramaira
sehen.«
»Ich habe ihn nicht gefunden. Ehrlich gesagt habe ich mich
auch nicht sehr darum bemüht«, gestand Rick.
Cath stützte sich auf einen Ellbogen und nippte an ihrem
Drink. »Du kennst doch meine Einstellung dazu. Du hättest
gar nicht erst gehen sollen.«
»Ich dachte, ich sollte nach ihm schauen, weil jemand mich um
diesen Gefallen bat. Wo sind denn deine Leute abgeblieben?«
Wieder nahm Cath einen Schluck. »Ich habe nur guten Tag
gesagt. Das hättest du auch tun sollen. Sie sind immerhin alle
an der Universität beschäftigt. Aber kaum hatte ich mich
umgedreht, da war mein ritterlicher Freund schon verschwunden, um
irgend jemand einen blöden Gefallen zu tun.«
»Ich habe ja schnell genug aufgegeben. Waren mir einfach zu
viele Leute da draußen.«
Über den Rand des Glases sah Cath zum bevölkerten Strand
hinüber. »Es sind wirklich zu viele hier. Wie eine Horde
Seekühe.«
Sie machte »Psst«, legte den Finger auf den Mund und
kicherte.
»Bist du sicher, daß du den Alkohol zusätzlich zu
diesem Zeugs – Fokus – auch verträgst?«
Caths heftige Abneigung und Intoleranz den einfachen Leuten
gegenüber weckte immer wieder Unbehagen in Rick. Sie hatte mehr
mit David de Ramaira gemeinsam, als sie ahnte. Ihre Familie
mütterlicherseits ging auf eine der Besatzungen der beiden
Archen zurück, in denen die ursprünglichen Kolonisten nach
Elysium gekommen waren, ehe die Entwicklung von kompakten
Schwerkraft-Generatoren preiswerte, wiederverwertbare
Traktorstrahl-Antriebe möglich und das interstellare Reisen
somit zur Routineangelegenheit machten. Die Nachkommen der
Besatzungen bildeten eine Art Aristokratie in der Bürgerschaft
von Port of Plenty und Arcadia.
Cath blinzelte ihn an. »Das ist eine andere Sache. Auf der
Party gestern abend war Josie jedenfalls ganz schön verschnupft,
daß du einen Hit abgelehnt hast. Es schadet doch nichts, sich
so oft wie möglich zu entspannen.«
»Da, wo ich herkomme, ist es schon eine Sünde, Alkohol
zu trinken – und viel mehr noch, Serotonin-Extrakte zu
konsumieren. Aber wenn dich die Leute hier so sehr stören,
laß uns doch unser Privileg ausnutzen und wieder
hineingehen.«
Cath leerte ihr Glas und ließ es dann achtlos im Sand
liegen. Sie schlenderten zum Tor, zeigten ihre Tickets und stiegen
die L-förmige Treppe zu ihren Plätzen im Amphitheater hoch.
Die stufenförmigen Sitzreihen waren kaum besetzt, die obere
Galerie für die Mitglieder des Stadtrates noch völlig
verwaist. Dicht nebeneinander stehend schauten Rick und Cath
über den Ozean zu der gleichförmigen Linie des Horizontes.
Dort – dort draußen begann das Unbekannte. In
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