Alien Earth - Phase 1
Zukunft eröffnete? Und was würde der Junge sagen, wenn er die Wahrheit über die Lange Reise erführe? Wieselflink schätzte ihn auf bestenfalls achtzehn. Mit etwas Glück lagen vor ihm noch fünfzig oder sechzig Jahre, bis sein Körper aufgab, selbst als Nomade. Wie
lange hatte der Alien-Körper, in den er nach Wolfs Willen schlüpfen sollte, noch zu leben?
»Du bist so ruhig.«
»Das sieht nur so aus. Jeder geht eben anders mit seinen Gefühlen um.«
Sie liefen schweigend durch die Gänge. Niemand begegnete ihnen. Im Vorbeigehen sah Wieselflink, dass die Terminals doppelt besetzt, die Schlafräume leer waren. Also hat Wolf ihn nicht belogen. Bald war es so weit. Wie immer »es« aussehen mochte.
»Ich frage mich, wie sie aussehen?«, meinte der Gardist.
»Wer?«
»Wer schon? Die Aliens.«
»Ich weiß es nicht.« Wieselflink zuckte die Achseln. »Vielleicht nicht viel anders als wir? Es heißt, die Natur findet für dasselbe Problem immer wieder dieselben Lösungen.«
»Hoffentlich nicht wie Spinnen«, sagte der Gardist, als hätte er Wieselflink nicht gehört. »Ich ekele mich vor Spinnen. Wenn ich mir nur vorstelle, dass mich eine berührt …«
»Ich glaube, darüber musst du dir keine Sorgen machen.«
»Meinst du?« Der Gardist schien beruhigt. Dann schluckte er, als ihm etwas einfiel. »Woher willst du das so genau wissen?«
»Ich weiß es eben.«
Sie hatten das Labor erreicht. Wieselflink zog die Tür auf, schlüpfte hinein und schob sie wieder zu. Der Gardist blieb mit offenem Mund auf dem Gang zurück. Wieselflink war sich darüber im Klaren, dass er sich eben nicht gerade einen Freund gemacht hatte. Aber es war egal. In ein paar Stunden würde es keinen Unterschied mehr machen. In ein paar Stunden würden der Gardist und das übrige Pack in den Körpern von Aliens stecken. Oder in einem Speziallager des Ministeriums. Oder sie wären tot.
Das Labor war leer. Wieselflink ging auf die Knie, sah unter das Bett. Keine Blitz. Sie musste immer noch bei Fischer sein. Und Fischer … Fischer …
Er holte seinen Rucksack hervor, den er aus Gewohnheit
versteckt hatte, und legte die Papiere und das Geld hinein, die er von Wolf geschenkt bekommen hatte. Dann nahm er die Schere, die Blitz ihm gegeben hatte. Es hatte keinen Sinn, sich weiter in Wut hineinzusteigern. Weder Blitz noch ihm war dadurch geholfen. Was geschehen war, war geschehen. Die Zukunft aber … Er zog die Schutzhülle von der Schere. Waren ihre Schneiden wirklich mikroverzahnt? Blitz hatte das Wort nicht einmal aussprechen können. Er setzte sich auf das Bett, setzte die Schere an, als der Lautsprecher knackte.
»S minus 120 Minuten«, verkündete die Stimme des Zugs. »Alle Mann auf ihre Stationen. Ich wiederhole: S minus 120 Minuten. Alle Mann auf ihre Stationen!«
»S«. Die Gardisten würden es als »Start« lesen. Wieselflink wusste es besser. Es stand für »Seelentransfer«.
Er legte die Schere ein zweites Mal an - und rutschte ab. Die Spitze einer Schneide bohrte sich in seinen Hals. Er fummelte nach einem Tuch und zog es unter dem Halsband durch und über die Wunde, fixierte damit gleichzeitig das Band und saugte das hervorquellende Blut auf. Er schnitt weiter, mit minimalem Druck. Peinlich genau darauf bedacht, nicht auszugleiten, und begleitet von regelmäßigen Durchsagen.
»S minus 100. Entkopplung vorbereiten!«
»S minus 93. Versorgung auf Bordsauerstoff umstellen!«
»S minus 89. Defensivmodus B!«
»S minus 79. Mannschaft sichern!«
»S minus 77. Entkopplung!«
Ein metallischer Schlag dröhnte. Wieselflink wurde gegen die Wand geworfen, als der Zug in voller Fahrt das Gleis wechselte. Er hatte Glück und kam mit einer geprellten Schulter davon. Die Schere war ihm aus den Fingern geglitten und unter den Labortisch gerutscht, ohne ihn zu verletzen.
Wieselflink bewegte die Schulter auf und ab, bis der Schmerz etwas nachließ, und angelte sich mit dem unversehrten Arm die Schere.
Bei S minus 61 durchtrennte er das Halsband.
Er hielt es in der Hand und starrte auf den zerschnittenen
Stoff. Er hing schlaff herab, wie ein harmloser, unschuldiger Fetzen.
Wieselflink atmete tief ein. Er war frei. Niemand und nichts konnte ihn jetzt noch aufhalten. Er …
Die Tür glitt zur Seite.
Es war Fischer. Neben sich, an seiner Hand, Blitz. Sie blickte teilnahmslos zu Boden - und um ihren Hals trug sie nicht länger das Alienband mit der Comic-Figur, sondern den Sternenhimmel, so wie alle Nomaden.
Fischer sah zu Wieselflink,
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