Alien Earth - Phase 1
Zugs stellten Erkältungen eher die Regel als die Ausnahme dar. Hielt der Zug, glaubte man in den Nächten oft von allen Seiten Husten zu hören.
Wieselflink beschloss weiterzumachen, als wäre nichts geschehen. Was es ja auch nicht war. Nichts war geschehen. Ein Kind hatte ihm einen harmlosen Streich gespielt, mehr nicht. Wieselflink spielte weiter den Elektriker, tauschte Birnen und flickte Leitungen und hörte zu. Bald hatte er den Vorfall vergessen. Hatte er überhaupt stattgefunden? Mit einem Ohr lauschte er den endlosen Erzählungen der Nomaden über das paradiesische Leben, das sie auf Sigma V führen würden, und ihren Fantastereien, ob und wann sie jemals Wolf gegenüberstehen würden und was für eine Art Mann er wohl war. Und während er Kabel flickte, zuhörte oder zuzuhören vorgab, dachte Wieselflink nach.
Was hatte es mit dem Großen Pack, mit diesem Wolf wirklich auf sich? Wolf lehrte, dass ein Raumschiff kommen würde. Die Aliens würden die Nomaden des Großen Packs als Freunde, ja Seelengenossen erkennen und sie an Bord ihres Schiffs bringen, sie mit auf die lange Reise nach Sigma V nehmen, den Ort, an dem all ihre Träume in Erfüllung gehen würden. Es war eine Geschichte, so wirr und an den Haaren herbeigezogen, dass Wolf, sollte es ihn überhaupt geben, ein Wahnsinniger sein musste. Aber was war dann mit den Tausenden oder Zehntausenden, die seine Geschichte glaubten? Fischer prahlte damit, dass sich immer mehr Züge dem Gro ßen Pack anschlossen, und Wieselflink hatte keinen Grund, seine Angaben zu bezweifeln. Wieselflink passte genau auf, wenn Fischer ihn auf dem Gang passierte, und er hatte auf dem Display seines Unterarmcomp inzwischen genug gesehen, um sicher zu sein, dass Fischer größere Verantwortung trug als nur für einen Zug. Wie kam es, dass Wolf genug Menschen fand, die seinen Irrsinn glaubten, um es ihm zu ermöglichen, seine Herrschaft zu etablieren und auszudehnen?
Sicher, die Verzweiflung unter den Nomaden war groß. Es waren Menschen, denen man den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, und sie neigten dazu, selbst Unglaubliches für wahr zu halten. Wenn sich wieder einmal das Gerücht von der Generalamnestie verbreitete, fanden sich zahllose, die es mit einem Eifer glaubten, dass sie bereit waren, jeden, der sich als Zweifler zu erkennen gab, zu Tode zu prügeln. Aber sie taten es nur für einige Tage, dann schenkten sie dem nächsten Gerücht Glauben. Dass die Nomaden an die Küste gebracht würden, um hinter den Deichen Wehrdörfer gegen das Wasser zu besiedeln, oder nach Schwarzafrika, das nicht mehr sehr schwarz war, nachdem die AIDS-Impfung zu spät gekommen war, oder was auch immer. Auch das mit hysterischem Eifer, auch das nur für einige Tage.
Wolfs Lehre war anders. Sie hatte sich als System etabliert. Seit Monaten, möglicherweise Jahren stellte sie eine funktionierende, allumfassende Ordnung dar. Wolf verfügte über loyale Unterführer wie Fischer, seine eigene Hausmacht, die Sternengarde, und über ein Fußvolk.
Dieses Fußvolk webte Alienbänder mit einer Ergebenheit, als hinge das Schicksal der Welt von ihrem Produkt ab, angefeuert von Wolfs persönlichem Versprechen, bei Übererfüllung des Plans einen besseren Platz und bessere Rationen auf dem Alienschiff zu erhalten. Wieselflink für seinen Teil glaubte keine Sekunde daran, dass Wolf sein Versprechen einzulösen gedachte. Gleichzeitig war er überzeugt davon, dass dieses System einem bestimmten Zweck diente und nicht durch Zufall entstanden war; dazu war es zu überlegt, funktionierte es zu reibungslos, war es zu umfangreich.
Die Frage war nur: Welchem Zweck diente es?
Der Zug bestand aus 14 Wagen und einer Lok. Die Lok war gepanzert und ferngesteuert, eine separate Einheit. Wagen 1 war Fischer und den Gardisten vorbehalten. Darüber, was dort vorging, konnte Wieselflink lediglich spekulieren, aber mit Sicherheit webte Fischer in den wenigen Stunden, in denen er nicht im übrigen Zug auf und ab ging, keine Alienbänder.
Wagen 14 war der einzige Zu- und Ausgang des Zugs. Blieben 12 Wagen, jeder besetzt mit ungefähr hundert webenden Nomaden, abhängig vom Wagentyp und dem jeweiligen Innenausbau. Machte 1200 Weber, von denen jeder im Schnitt 20 Bänder am Tag herstellte. 24.000 Bänder am Tag. Eine ansehnliche Anzahl, die sich, da die Alienbänder nur wenig Platz brauchten, in den Kisten unterbringen ließen, mit denen die Gardisten abends durch den Zug gingen und die Tagesproduktion einsammelten.
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