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Alien Earth - Phase 2

Titel: Alien Earth - Phase 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Borsch
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Wasser zog.
    Nach einigen Minuten ließ Wilbur die Mündung hinter sich. Sie war der erste Bereich des Schachts, eine dünne Schicht nur. Sie veränderte ihre Größe je nach aktueller Ausdehnung der Insel an der Meeresoberfläche und Seegang. An
ruhigen Tagen vergingen keine fünf Minuten, bis Wilbur die Mündung passiert hatte, und das sanfte Ächzen und Schlagen, das mit dem Seegang einherging, hinter ihm zurückblieb. An stürmischen Tagen mochte sich die Mündung einen 15 oder sogar 20 Minuten langen Weg in die Tiefe erstrecken. Dann schlug der Schacht aus, als handele es sich um einen wild gewordenen Gartenschlauch, und das Ächzen war ein Kreischen, und die Schläge waren Donnerschläge, die in Wilburs Ohren dröhnten.
    Sie hallten in ihm nach, während er in die Lange Stille glitt.
    In der Langen Stille war der Schacht starr. Es gab keine Geräusche außer dem eigenen Atem und Herzschlag. Aber je tiefer man in die Lange Stille vordrang, desto mehr ließen sie nach, wurden schließlich von der Langen Stille verschluckt.
    Wilbur mochte die Lange Stille. Er wäre auch dann in sie eingetaucht, wenn ihn sein Plan nicht zu ihr geführt hätte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen Ort gefunden, an dem er wirklich ungestört war. Selbst seine eigenen Gedanken, die ihm niemals Ruhe ließen, verblassten und versiegten endlich.
    Wilbur schloss die Augen und verlor sich.
    Nach einiger Zeit öffnete er die Augen wieder, ließ das Irrlichtern seines Kokons, der sich mit steigendem Wasserdruck immer enger an ihn schmiegte, auf sich einwirken. Mal war der Kokon ein Spiegel, verzerrt, verfärbt, verfremdet. Mal war er ein Regenbogen in stetiger Bewegung, wie eine Seifenblase. Mal war es, als existiere der Kokon nicht, als trenne ihn nichts von der endlosen Schwärze …
    … und in der Schwärze unter ihm leuchtete ein Punkt, glitzernd wie ein Stern.
    Wilbur sank weiter. Der Stern kam näher, wurde größer, war nicht mehr weiß, sondern schillerte in vielen Farben. Und schließlich verwandelte sich der Stern in den leuchtenden Umriss eines Menschen, der wie ein Fallschirmspringer im Schacht schwebte, Arme und Beine angewinkelt. An seinem Rücken haftete die wuchtige Kontur des Fallschirms. Sie erinnerte
an eine Platte, die sich über den Nacken und bis über den Hinterkopf zog.
    Als Wilbur den leuchtenden Umriss erreichte, streckte er den Arm aus. Seine Hand glitt an der harten Oberfläche der Platte ab, bekam schließlich einen Arm zu fassen und umklammerte ihn. Wilbur packte den Springer mit der zweiten Hand, drehte ihn zu sich, sodass er ihm ins Gesicht blickte. Es war ein Mann. Ein buschiger Bart und Haare, die seit Monaten nicht mehr geschnitten worden waren, verdeckten sein braunes Gesicht fast vollständig. Der Mann hatte die Augen geschlossen, als schlafe er. Wilbur schüttelte ihn. Der Mann öffnete die Augen, blinzelte und sah Wilbur an, ohne ihn zu sehen.
    »Rodrigo«, sagte Wilbur. »Ich bin es.«
    Seine Stimme hallte im Innern seines Kokons wider, übertrug sich in den Kokon seines Gegenübers.
    »Du …?« Rodrigo blinzelte schneller, hörte abrupt auf und schlug die Augen weit auf. Er wollte den Kopf drehen, um sich umzusehen, aber die Rückenplatte ließ es nicht zu. Sein ganzer Körper machte die Bewegung mit. Wilbur hielt ihn fester, damit er sich nicht losriss.
    »Ja, Wilbur.«
    Rodrigo schüttelte sich. Wilbur ließ ihn los. Ohne ein weiteres Wort schwamm Rodrigo los. Er tat es, wie er geschwebt war: mit angezogenen Armen und Beinen. Wilbur erinnerte der Anblick an eine Schildkröte. Rodrigo schwamm nach unten, zu einer Ausbuchtung in der Wand des Schachts. Er glitt in sie hinein, bog nach oben ab und war verschwunden. Wilbur folgte ihm - und glitt aus dem Wasser. Sein Kokon erlosch.
    Das Innere eines Artefakts erwartete ihn. Es diente als eine Art Taucherglocke; ein Raum, der - zumindest ging Wilbur davon aus - dem Zweck diente, beim Defekt eines Kokons den Träger so lange am Leben zu erhalten, bis Rettung eintraf. Was nicht lange dauern durfte: Das Artefakt bot Luft zum Atmen, das übliche, zu grelle Licht und eine Temperatur knapp
über dem Gefrierpunkt. Wilbur fror augenblicklich, als mit dem Kokon die wohlige Wärme verschwand. Ein Sprung ins Wasser trennte die Rettungsbucht vom Schacht, aber Wilbur kam es vor wie Welten. Die Bucht war nüchtern, eine Einrichtung, die ausschließlich auf ihren Zweck ausgerichtet war. Der Schacht war aus denselben Materialien - Artefakten - gebaut, auf

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