Alien Earth - Phase 2
Staatsanwaltschaft.) Sie, werter Kollege, werden verstehen, welche Nöte mir diese Tatsache als treuer Hüter meines Ministeriums verursacht hat.
Doch ich schreibe Ihnen heute nicht, um mich zu beklagen. Im Gegenteil. Die Vorgänge des 26. September haben sich mittelfristig als äußerst befruchtend erwiesen. Nach der Reinigung von korrupten Elementen arbeitet die Ministerialbürokratie kostengünstiger und effizienter denn je. Der Verlust der Zwischenlagerkapazität des Frankfurter Hauptbahnhofs konnte rasch anderweitig ausgeglichen werden. Die Züge, die mein Ministerium erneut in Besitz nahm, stellten sich als hervorragend gepflegt und ausgestattet heraus. Der Abgang von 100.000 Schutzbefohlenen nahm erheblich Druck aus dem System.
Wichtiger aber noch: Die Produktivität meiner verbliebenen Schutzbefohlenen ist seit dem 26. September auf ein ungeahntes Hoch gestiegen, während gleichzeitig der Aufwand zur Disziplinierung stark gefallen ist. Der Grund, haben meine Beamten herausgefunden, sind die Aliens. Ein Teil der Schutzbefohlenen leidet an existenzieller Furcht, den Aliens ausgeliefert zu werden, sollten sie nicht gefügig und produktiv genug sein. Der andere Teil hingegen leidet an existenzieller
Furcht, ihnen nicht übergeben zu werden, sollten sie unseren Ansprüchen nicht genügen.
Und damit komme ich zu meiner eigentlichen Bitte. Werter Kollege, in Ihrer Obhut liegen Alien-Fragen. Ihr Ministerium verwahrt die gefangenen Aliens, ist im Besitz aller Schlüsselinformationen und Machtmittel. Wäre es Ihnen unter Umständen möglich, zeitnah einen weiteren Seelentransfer zu organisieren?
Die segensreichen Wirkungen für unser Land wären vielfältig: Das Bahnministerium wäre erneut in der Lage, einen bedeutenden Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten, und das bei erheblich vermindertem Aufwand und einem durch die disziplinierende Wirkung der Aliens deutlich vereinfachten Handling der Schutzbefohlenen. Und schließlich eröffnet sich die Möglichkeit eines regelmäßigen humanen Exports überschüssiger Menschen, der selbst nach strengsten internationalen Menschenrechts- und Moralmaßstäben tadellos ist.
Ich hoffe, werter Kollege, Sie nehmen meine Anregungen, wie sie gemeint sind: als Denkanstoß eines Mitstreiters für eine menschenwürdige Gesellschaft.
- Angebliches Schreiben des Bahnministers Wrondaczek an den Minister für Alien-Fragen Misfer, auf AlienNet veröffentlicht am 1. April 2066. Ein Sprecher des Bahnministeriums nannte den Brief in einer Presse- konferenz am 2. April 2066 »einen unappetitlichen Aprilscherz und entlarvend«.
KAPITEL 6
»An die Wand!«
Ein Mann und eine Frau rannten in Pauls Zelle. Sie trugen Stahlhelme und Kampfanzüge, aufgenähte Alienkreuze an Brust und Oberarmen. Ihre Gesichter verschwanden bis auf die Münder und Nasen unter zu Visieren vergrößerten, spiegelnden Datenbrillen.
»Bist du taub? An die Wand!«, brüllte die Frau, als Paul nicht augenblicklich reagierte. Sie ging auf ihn zu, das Gewehr - ein kurzläufiges TAR-21, wie Paul bemerkte - im Anschlag, und trat ihm mit dem schweren Stiefel in den Bauch. Ihr langes schwarzes Haar, das unter dem Helm hervorstand, flatterte, als sie ausholte.
Die Wucht des Tritts riss Paul von den Beinen.
»Mach schon! An die Wand!«
»Schon gut, schon gut!« Paul quälte sich hoch.
»Press die Hände gegen die Wand, so fest du kannst. Los! Die Beine auseinander! Du brauchst guten Halt!«
Paul beeilte sich, ihren Befehl auszuführen. Die Frau machte einen Schritt zurück und nickte ihrem Begleiter zu. Die Geste war ein Befehl. Der Mann schlang sein Gewehr über die Schulter - viel zu umständlich für einen Soldaten, stellte der Hunter in Paul fest, der darauf trainiert war, bei Gefahr jede Einzelheit zu registrieren -, baute sich hinter Paul auf, zog etwas aus einer Tasche. Keine Waffe, dazu war der Lauf zu breit. Eine Art Kasten, der Lauf, der eher einem Schnabel ähnelte, und ein Display - Paul hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Er dachte an Wolf und seine Drohung an die Wächter. »Sie werden kommen und uns holen!«
»Was soll das?«, rief Paul. »Wer seid ihr? Was macht ihr mit mir? Ihr seht doch, dass ich ein Gefan…«
»Wir wissen sehr gut, was du bist«, unterbrach ihn die Frau. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, zielte durch den von der Explosion ausgefransten Türrahmen auf den Gang. Einen Moment lang sah er sein Spiegelbild in ihrem Visier. Er erkannte sich nicht
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