Alien Earth - Phase 3
kommen, die ich abweise.«
»Das ist doch Irrsinn. Sie schicken diese Menschen in den Tod.«
»Nein. Ich schenke ihnen ein neues Leben. Einen neuen, unbelasteten Anfang. Diese Menschen hier stehen an derselben Stelle wie unsere Vorfahren, bevor sie sich von Afrika aus anschickten, sich die gesamte Erde untertan zu machen. Ihre Ansiedlung wird genau überwacht. Mein Wunderland ist groß, und die Gruppen werden so gesetzt, dass sie nicht miteinander in Berührung kommen.« Al-Shalik steuerte das Wasserflugzeug in eine letzte Schleife. »Sicher, viele von ihnen werden sterben. Aber sterben müssen wir alle. Wenigstens sterben diese Menschen einen natürlichen Tod, sie werden nicht von anderen Menschen ermordet. Wir sollten sie nicht bemitleiden, sondern beneiden.« Er schaltete das Triebwerk hoch, und mit einem Satz ließ das Flugzeug das Häufchen Menschen in ihrem Baum zurück. Den restlichen Flug schwieg der Ägypter.
Eine Stunde vor Sonnenuntergang legten sie wieder an Mahmuts Schloss an. Al-Shalik entschuldigte sich mit einer Verbeugung, bedauerte, dass er sich jetzt dem Tagesgeschäft widmen müsse, und überließ François sich selbst. François erklomm seinen üblichen Platz auf einem Pseudo-Artefakt, dessen Ausbuchtung ihm tagsüber Schatten spendete, und sah den Mahmuts bei der Arbeit zu. Sie waren überall. Tausende von Mahmuts Jungs bevölkerten das Schloss, hielten es in Betrieb. Sie steuerten die Dutzende von Schiffen, Ekranoplane
und Wasserflugzeuge, die täglich an der Insel anoder ablegten. Sie bedienten die Containerkräne, sie schwammen im klaren Wasser des Sees, manchmal nackt und zum Vergnügen, manchmal in Taucheranzügen, die François an Ritterrüstungen erinnerten. Sie tollten mit Fischen herum, die François nie zur Gänze zu Gesicht bekam. Aber den Flossen und riesigen, mit Zähnen besetzten Mäulern nach zu urteilen, mussten sie mindestens so groß wie ein Mensch sein und jederzeit in der Lage, einen Mahmut in der Mitte durchzubeißen und zu verspeisen. Die Mahmuts störten sich nicht daran.
Die Tage vergingen. Al-Shalik ließ François bis auf den unweigerlichen Nachmittagstee in Ruhe, er hatte keinen Mangel an Zeit, dafür aber einen an Beschäftigung. Also beobachtete er weiter Mahmuts Jungs. Vielleicht fand er in ihnen den Schlüssel zu ihrem Schöpfer, der offensichtlich verrückt und begnadet war und dem nahezu grenzenlose Mittel zur Verfügung stehen mussten. François hatte mit Jan zusammen Freetown neu erbaut, er wusste, welchen Aufwand es bedeutete, in einem Ödland eine Stadt zu errichten und zu erhalten, ein Ödland zu rekultivieren.
Es schien, als gebe es nicht viel zu sehen. Mahmuts Jungs waren alle gleich. Sie waren im selben Alter, Mitte oder Ende dreißig, stattlich und von derselben Eitelkeit wie ihr Schöpfer. Nur Mahmut al-Shalik trug meist einen Kunstseidenanzug, während seine Jungs das Beste aus dem machten, was sie hatten. Sie hielten ihre Kleidung makellos sauber, und ließ sich eine Verschmutzung nicht vermeiden, nutzten sie die nächste Gelegenheit, die Kleidung zu wechseln. Sie waren Macher, die mit Eifer arbeiteten und denen Zweifel ebenso fremd schienen wie ihrem Schöpfer.
Und wie sollte es auch anders sein? Sie waren ihr Schöpfer. Klone, perfekte Abbilder ihres Schöpfers - und damit keine Individuen. François stellte sie sich als eine Armee von Robotern in Menschenkörpern vor, die schweigend ihre Arbeiten verrichteten. Waren sie nicht alle gleich? Mussten sie
nicht zwangsläufig das Gleiche denken? Machte das nicht jeden Austausch zwischen ihnen überflüssig?
Aber dem war nicht so. Mahmuts Jungs tratschten und schwatzten mit einer Hingabe, unterhielten sich und schrien einander an, als gebe es nichts Wichtigeres in der Welt. Sie lachten viel und laut. Ihnen war derselbe Sinn für Humor zu eigen. François spürte eine Vertrautheit, die er sich lange nicht zu erklären wusste. Er kannte diese Vertrautheit, er war ihr schon einmal begegnet. Nur wo?
Eines Tages, als er einer Gruppe Mahmuts bei der Reparatur eines Abwasserrohrs zusah, erinnerte François sich: Der Sommer 2046, das Zeltlager in den Ardennen. Vier Wochen, christlich, ausschließlich Jungen zwischen elf und vierzehn. Es war in der Zeit gewesen, bevor François irgendetwas mit Jungs anzufangen gewusst hatte. Im Dauerregen hatten sie die Zelte errichtet, hatten aus Holz grobe Tische und Bänke gezimmert, die sie in der letzten Nacht des Zeltlagers auf einem großen Scheiterhaufen verbrennen
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