Alien Earth - Phase 3
war.
Hatte sich Wilbur ausgeweint, fühlte er sich stark genug, erneut mit seinen Sinnen zu lauschen. Er wollte verstehen. Die Seelenspringer hatten sich auf der Erde und in einem Teil ihrer Menschen festgesetzt, die Seelenbewahrer griffen die Erde an, um die Springer und die Menschen, die mit ihnen verbündet waren, umzubringen - wenn es je einen Moment in der Geschichte gegeben hatte, in der die Menschheit Grund zur Einigkeit hatte, dann war er jetzt gekommen. Wieso also dieser Krieg?
Wilbur suchte die Antwort dort, wo seine tastenden Sinne auf Widerstand trafen: in den verteilten Rechenzentren von Homeworld Security, im HunterNet, in den Datenbanken der Geheimdienste der Erde. Wilbur verschaffte sich Zugang. Die Netze und Datenbanken waren nur von Menschen gemacht, sie konnten ihm bestenfalls für eine Weile Widerstand leisten. Und er fand Antworten. Nur: Es waren nicht die Antworten, die er gesucht hatte.
Früher, bevor Wilbur zur Human Company gestoßen war und sein Leben als Amerikaner unwiderruflich hinter sich gelassen hatte, war ihm die Regierung als allmächtig erschienen.
Homeworld Security - und ihr Vorläufer Homeland Security - waren überall gewesen. Ein falsches Wort, ein unbedacht geäußerter Zweifel an der Tatsache, dass die USAA die perfekte Gesellschaft, das triumphale Ende der Geschichte darstellten, konnte genügen. Wilbur hatte es mit angesehen, bei Freunden und Kollegen, bei Nachbarn. Eines Tages waren sie verschwunden. Manche kamen wieder, andere nicht. Wilbur selbst war verschwunden, für eine Nacht nur, in den Gewölben unter der Ambipolis Dubai. Sie hatten ihm nichts getan. Sie hatten ihn einfach wortlos in eine Zelle geworfen, ihn der Stille unter der Erde ausgesetzt, die hin und wieder von tierischen Schreien unterbrochen worden war. Dann hatten sie ihn ebenso wortlos wieder aus der Zelle geholt, um ihn an einer Straßenecke aus dem fahrenden Auto zu werfen. Wilbur hatte die Warnung verstanden. Von jenem Moment an hatte er seine Ansichten für sich behalten und sein kleines, unauffälliges Leben gelebt - er hatte nie wieder vergessen, dass ihn unzählige unsichtbare Augen und Ohren beobachteten.
Jetzt besaß er selbst unzählige Augen und Ohren. Sinne, die weit besser sahen und hörten als alles, was die Menschen aufzubieten hatten - und er stellte fest, dass Homeworld Security nicht allmächtig, sondern ohnmächtig war. Zugegeben, das Ministerium und seine Dienste hörten und sahen viel. Spitzel und Denunzianten, gekauft, aus Überzeugung handelnd oder in den Dienst gepresst, sorgten dafür. Sie waren die ergiebigste Quelle für das Ministerium, stellte Wilbur überrascht fest. Dazu kamen die digitalen Quellen. Zusammen ergaben sie ein so vielschichtiges Bild, dass es das Ministerium überforderte, selbst im Kleinen.
Da war zum Beispiel der Krieg in Freetown, der Hauptstadt des ehemaligen Sierra Leone, anschließend die Zentrale der Human Company und seit einigen Wochen in der Hand der US Alien Force. Ein Spaziergang, eigentlich. Das Credo der Human Company war Gewaltlosigkeit. Widerstand war keiner zu erwarten gewesen, kein ernsthafter jedenfalls. Und so war es auch gekommen: Die US Alien Force hatte keinen Tag
gebraucht, Stadt, Flughafen und Umland zu besetzen. Der Widerstand war schwach gewesen und vor allem von ehemaligen Bürgerkriegskämpfern ausgegangen, die über einen verblüffend großen Vorrat an nagelneuen Sturmgewehren verfügten. 23 US-Soldaten waren getötet, 56 verletzt worden und am Abend der Invasion hatte man 1029 anhand abgeschnittener Ohren bestätigte tote Einheimische gezählt, zweitausend weitere unbestätigte.
Damit war der Spaziergang zu Ende gewesen. Hatte man geglaubt. Doch seit einer Woche starben jeden Tag mehrere Soldaten, aus dem Hinterhalt erschossen mit TAR-21-Gewehren. Nur: Kein einziger Widerständler war in dieser Zeit erschossen worden. Es schien, als wären sie unsichtbar oder als hätte der Erdboden sie verschluckt.
So, wie es mit François Delvaux geschehen war, dem eigentlichen Ziel der Invasion. Der Anführer der Human Company stand in direktem Kontakt zu Pasong, dem Anführer der Seelenspringer. Homeworld Security lagen unanfechtbare Beweise vor. Daraus hatten sich für das Ministerium zwei Schlüsse ergeben: Delvaux musste daran gehindert werden, sein Alien-Know-how gegen die USAA zu verwenden. Und Delvaux’ Know-how musste in die Hände der USAA gelangen.
Doch Delvaux war verschwunden. Er hatte sich in Freetown aufgehalten, wie die
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