Alien Earth - Phase 3
Auswertung der Helmkameras zweier gefallener Soldaten ergab. Wilbur sah sich die Aufnahmen an, sie waren nahezu identisch. Ein kurz geratener Schwarzer sprang aus dem Eingang eines Hauses und legte mit einem TAR-21 auf die beiden Marines an. Er erinnerte Wilbur an den Körper, in dem sich Pasong vorzugsweise zeigte, doch dieser Mann war von einer Narbe entstellt, die von seinem Kopf über eine Seite des Gesichts reichte, und einer seiner Arme endete in einem Stumpf. Das änderte nichts an seiner Schnelligkeit. Der Schwarze schoss. Das Bild zitterte, fror für einen Moment ein, dann kippte es weg und zeigte den schmutzigen Asphalt, als der Soldat sterbend zusammenbrach.
Es war der einzige handfeste Hinweis auf Delvaux’ Verbleib, den Wilbur finden konnte. Der Rest bestand aus wilden Spekulationen: Ein Marine, der sich in psychiatrischer Behandlung befand, behauptete, es hätte einen Aufstand in der Armee gegeben und die Rebellen hätten Delvaux weggeschafft. Ein anderer bestand darauf, ein Dutzend Roboter hätten Delvaux am Hafen empfangen und ihn unter Wasser gezogen. Eine Hülle aus Licht hätte den Belgier geschützt. Mehrere andere Soldaten bestanden darauf gesehen zu haben, dass ein Alien-Luftfisch Delvaux an Bord genommen hätte. Und schließlich waren gleich Dutzende von Marines felsenfest davon überzeugt, dass Delvaux das letzte Flugzeug bestiegen hätte, das vom Flughafen Freetowns hatte abheben können: eine mehrfach überschallschnelle Pemburu, die zwei Stunden später über dem Indischen Ozean von einem Schwarm unbemannter Wachdrohnen gestellt und abgeschossen worden sei, als sie versucht habe, die Arterie zu queren. Die Suche nach Trümmerteilen hielt an, aber bislang war nur die Spitze des linken Flügels gefunden worden.
Wilbur bezweifelte, dass die Suche Erfolg haben würde. Das Meer war groß und die Kapazitäten und Konzentration der USAA eingeschränkt. Der Trümmerregen, der über der Erde niederging, sorgte dafür. Wilbur verfolgte, wie nach und nach neue Wolken auf dem Erdball unter ihm aufstiegen. Einige davon waren Nachzügler, verursacht von letzten Wrackteilen des pulverisierten Alien-Schiffs, die auf die Erde stürzten. Die meisten waren aber inzwischen menschengemacht und nicht Staub-, sondern Rauchwolken. Auf und unter dem Pazifik wurde gekämpft. Die US Navy beschoss die Alien-Insel ober- wie unterirdisch. Die Aliens reagierten nicht. Dafür aber die Chinesische Marine, die sich auf amerikanische Schiffe stürzte, entschlossen, die Arterie, die die über den Globus verstreuten Besitzungen der USAA miteinander verband, zu unterbrechen. Die Festung Singapur wurde belagert. US-Kriegsschiffe beschossen die Stadt, ebneten ihre Hochhäuser ein, während vom Norden her eine Rebellenarmee gegen
die Stadt anrannte, zusammengesetzt, so schien es Wilbur, aus menschlichen Semi-Sklaven und Orang-Utan-ähnlichen GenMods. Ihre einzigen Waffen waren TAR-21, und sie starben zu Tausenden. Aber Wilbur, der die Gefechte mit Abstand betrachtete, war klar, dass ihre Masse zu groß war, um nicht unweigerlich durchzubrechen. Und dann würde das wahre Sterben erst beginnen …
Wilbur wollte es nicht mit ansehen. Er lenkte seine Konzentration auf andere Orte. Doch wohin er auch sah, es wurde gekämpft. Mit bloßen Händen und Messern, meistens aber mit TAR-21, deren Vorrat unendlich schien. Wilbur sah Häuser brennen und Menschen sterben. Tausendfach, millionenfach.
Und er tat es allein.
Irgendwann, Rodrigo und Hero mussten seit einer Woche unterwegs sein, kam ihm eine Idee. Wieso allein? Er loggte sich in das Netz ein. Im Netz weiß niemand, dass du in Wirklichkeit ein Hund bist. Die uralte Regel galt noch immer, stellte man sich geschickt an. Auch dann, wenn man kein Hund war, sondern der einsamste und zugleich mächtigste Mensch, den es je gegeben hatte. Wilbur loggte sich auf der Suche nach verwandten Seelen bei AlienNet ein, in einen Chat. Der Chat endete innerhalb weniger Sätze in einer Katastrophe, und er rannte davon, so schnell es seine digitalen Glieder erlaubten.
Ihm blieb nur ein Trost: Immerhin hatte jemand auf ihn reagiert. Das war mehr, als er von seinen Kameraden sagen konnte. Das den Seelenspringern entwendete Patronenschiff hatte längst den Bereich von Wilburs erweiterter Wahrnehmung verlassen. Einmal am Tag sandten sie einen Funkspruch: »Alles in Ordnung.« Sonst nichts. Wilbur nahm die Funksprüche als die Lebenszeichen, die sie waren, und als Zeichen des Fortschritts: Jeden Tag
Weitere Kostenlose Bücher