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Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Titel: Alissa 1 - Die erste Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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Geschwister-Geschichte gezweifelt hatte, war ebenso unverkennbar gewesen wie ihre Erleichterung, als er den Tiefländer als Schleichhändler bezeichnet hatte. Sie hätten nicht erleichtert sein dürfen. Erschrocken oder dreist? Ja. Aber nicht erleichtert.
    »Sie sind noch keine Stunde hier«, sagte er laut und mit falschem Bedauern, »und lügen mich schon an.«
    Zumindest ein Teil ihrer Geschichte klang wahr. Finsters »Schule« war wohlbekannt, und während schon ihr Aussehen allein darauf hinwies, dass sie keine Geschwister waren, hatte Bailic eine Vertrautheit zwischen den beiden bemerkt, die auf lange Jahre der Gemeinsamkeit hinwies. Vielleicht waren sie zusammen aufgewachsen, und der Mann brachte sie an die Küste, um ihr damit einen Gefallen zu tun. Doch Bailic hatte beinahe den Eindruck, dass er sie umwarb, und diese Vorstellung fand er ekelerregend.
    Bailic schnaubte verächtlich, während er weiterhin den Hut ölte und das gelbe Leder mit knappen, ruckartigen Bewegungen dunkler färbte. »Widerlich«, sagte er laut. »Der Mann ist ein reinblütiger Tiefländer. Er könnte etwas Besseres haben als ein Halbblut .« Selbst eine Hochland-Hure wäre besser gewesen als ein Halbblut. Der Mann hatte sogar versucht, sie vor Bailics Blicken abzuschirmen, als er die beiden in Mesons alter Kammer gefunden hatte.
    »Und es gefällt mir nicht, dass sie deine Tür geöffnet haben, Meson«, brummte er, drehte den Hut um und ölte die Innenseite. Aber Meson war ein vertrauensseliger Narr gewesen. Nie mehr als der einfachste Bann auf seiner Tür. Jeder, der gute Absichten hegte, konnte die Schwelle überschreiten. »Außerdem«, sagte Bailic mit boshaftem Kichern, »wurdest du ja gewarnt, dass du keine Kinder bekommen solltest. Dieses Risiko wärst du doch nicht eingegangen, alter Freund .«
    Es kam sehr selten vor, dass ein Bewahrer ein Kind bekam, wenn die Meister ihm davon abrieten. Für gewöhnlich verfiel dabei das Muster der Pfade, statt sich zu verbessern. Das Resultat waren ein Netzwerk, in dem nur einige Teilstücke brauchbar waren, und sehr seltsame Fähigkeiten, die nicht einmal die Eltern solcher Kinder nachahmen konnten – so entstanden Shadufs und Septhamas. Ihre unzusammenhängenden Pfade strahlten eine Art halber Resonanz aus, und dem Elternteil, der Bewahrer war, wurde übel und schwindlig, wenn er sein Kind nur berührte.
    Bailic war fertig. Er legte Mesons Hut hin und verschloss sorgsam den Behälter mit dem Öl. Das gelbe Leder war nun deutlich dunkler, doch in wenigen Stunden würde es wieder seine gewöhnliche Farbe annehmen. Meson war sehr eigen gewesen, was die Farbe seines Hutes anging. »Warum, bei den Wölfen, öle ich eigentlich seinen Hut?«, fragte Bailic sich plötzlich. »Immerhin kann Meson mir kaum Vorwürfe machen, wenn ich ihn verrotten lasse.« Er erhob sich und durchtrennte mit einem beiläufigen Gedanken den Fensterbann, der sich dünn vor dem eingestürzten Balkon erstreckte. Schnee wurde aus der Dunkelheit hereingeweht, kleine, harte Flöckchen, die noch tagelang fallen würden. Bailic riss Mesons Hut vom Tisch. Er winkelte den Arm an, bereit, den Hut in die Nacht hinauszuschleudern, doch dann zögerte er. »Ich verfluche dich, Meson«, zischte er und ließ den Arm sinken. »Warum kann ich dich nicht endlich loswerden?«
    Doch er kannte die Antwort. Tief in seinem Herzen wusste er es. Bailic konnte seine letzte Verbindung zu Meson nicht durchtrennen, um es ganz zu beenden, und er errötete vor Zorn und Selbsthass. Von dem Tag an, da sie sich als Jungen kennen gelernt hatten, hatte Meson ihn akzeptiert – einen großen, dünnen Tiefländer mit Haut und Haaren wie ein Bauer aus den Hügeln –, als niemand sonst dazu bereit war. »Ich bin reinblütig«, stieß Bailic hitzig hervor und spürte, wie ihm die Brust eng wurde. All seinen Beteuerungen zum Trotz sah er genauso aus wie die Halbblüter, die er so verabscheute, und in Bailics ganzem Leben war das allein Meson gleichgültig gewesen. Und Rema.
    Bailic schloss die Augen, rang schmerzerfüllt um Atem und ballte die Hände zu Fäusten. Rema zählte nicht, beschwor er sich und atmete aus. Als es darauf angekommen war, hatte auch sie ihn verschmäht und im Stich gelassen, genau wie alle anderen. Bailic setzte den Fensterbann wieder ein – vielmehr schleuderte er ihn ungewöhnlich abrupt hinaus. Er warf den Hut auf den Sessel und weigerte sich, ihn anzusehen.
    Der Hut war alles, was Bailic aus dem Trümmerhaufen hatte bergen können,

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