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Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Titel: Alissa 1 - Die erste Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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hatte ihre Laune nicht gebessert, und sie musterte mit finsterer Miene den steilen Abhang. So schwierig hatte der vorhin nicht ausgesehen.
    Alissa lief am Rand entlang, um eine leichtere Abstiegsstelle zu finden. Ihr Blick schweifte zum dunklen Himmel, und sie fragte sich, ob es das überhaupt wert war. »Heißer Tee«, brummte sie vor sich hin, um ihre erlahmte Willenskraft anzufeuern. »Warmes Waschwasser.«
    Ihr Fuß rutschte auf dem losen Geröll aus. Sie ruderte wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Mit einem gedämpften Aufschrei stürzte sie vom Rand der Schlucht, überschlug sich und kullerte bis hinab zum Grund. Betäubt blieb sie liegen, während kleine Steine und Kiesel auf sie herabregneten. Mit einem leisen, lächerlichen »Klack« fand das letzte Steinchen seinen neuen Platz.
    Stille. Das Gluckern des Bachs schien immer lauter zu werden. »Oh, Blut und Asche«, japste sie und zog vorsichtig ihren Ellbogen aus dem eiskalten Wasser. »Au«, stöhnte sie. »Au, au, aua …«, fuhr sie fort, denn ihr wollte gerade nichts Originelleres einfallen. Stück für Stück richtete sie sich vorsichtig auf und rieb sich die aufgeschürften Hände. Ihr Knöchel tat am meisten weh, und sie betastete ihn vorsichtig durch den Stiefel hindurch. Dumpfer Schmerz explodierte in blitzenden Wellen. Alissa stieß zischend den Atem aus. »Bei den Wölfen«, stöhnte sie mit zusammengebissenen Zähnen, sobald sie wieder Luft bekam. Doch trotz der entsetzlichen Schmerzen glaubte sie nicht, dass der Knöchel gebrochen war. Alles andere tat ebenfalls weh, aber nicht allzu schlimm, wenn man bedachte, dass sie gerade einen dreimal mannshohen Abhang hinabgestürzt war.
    Langsam hievte Alissa sich hoch, ohne Gewicht auf den rechten Fuß zu legen. Sie schluckte schwer und senkte ihn langsam zu Boden. Schmerz schoss durch ihren Knöchel bis hinauf in ihren Schädel. Ihr wurde übel und schwindlig. Erschrocken umklammerte Alissa ihren Bauch und versuchte, sich gleichzeitig hinzusetzen und ihr Mittagessen bei sich zu behalten.
    »Oh! Die Wölfe sollen dich holen!«, heulte sie und wischte zornig die Tränen weg, die der Schmerz hatte überlaufen lassen. Sie blieb mit dem Kopf auf dem linken Knie sitzen und atmete bewusst flach, bis der Schmerz nachließ. Wie, dachte sie kläglich, sollte sie hier wieder herauskommen?
    Der Stein war kalt und schien ihr in die Finger zu beißen, als sie im Dunkeln nach einem Halt suchte. Steinchen und Staub bröckelten von der Steilwand und verschwanden lautlos im Wasser. Ihr Fuß stieß gegen eine Felsnase, und Alissa riss die Augen auf und kämpfte darum, nicht laut zu schreien.
    Sie gestand sich nur vorübergehend ihre Niederlage ein, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand der Schlucht und begann nun heftig zu zittern. Wütend zog sie ihren Hut tief über die Ohren, schlang die Arme um die Beine und verfluchte sich dafür, dass ihre üble Laune sie so unachtsam gemacht hatte. Beim Gedanken an ihr Feuer, das inzwischen ohne Holznachschub vermutlich erloschen war, fühlte sie sich noch elender. Sie saß in der sprichwörtlichen Grube.

 
    – 6 –
     

    F ort. Alles war fort. Das Zelthaus – fort. Die Werkstatt seines Vaters – fort. Seine Familie – fort. Bei jedem Schritt hämmerten die Worte in Strells Kopf herum. In der vergangenen Nacht war er gelaufen, bis er vor Müdigkeit wie ein Bettler am Wegesrand liegen geblieben war. Bei Tagesanbruch war er vom Quietschen eines vorbeifahrenden Karrens geweckt worden, kurz bevor ihn eine vergammelte Runkelrübe traf. Zu elend, um etwas zu essen, hatte er sich nach Westen gewandt und den Aufstieg begonnen, noch bevor die Vögel ihre Begrüßung des neuen Tages beendet hatten. Remas Hof lag schon fast eine Tagesreise hinter ihm. Er hatte einen weiten Bogen um ihre Felder geschlagen, weil er fürchtete, dass sie versuchen könnte, ihn zur Vernunft zu bringen, wenn sie ihn sähe. Er wollte aber nicht vernünftig sein.
    Der Tag verschwamm in Bewegung. Er hielt nicht ein einziges Mal an, um zu essen oder zu rasten, sondern wanderte stoisch bergauf, sorgsam darauf bedacht, seinen Geist leer zu halten und seinem Schmerz davonzulaufen. Der Wahrheit ins Auge zu sehen, solange die Sonne am Himmel stand, war einfach zu viel verlangt.
    Erst jetzt, als die Dämmerung anbrach und der kalte Wind von den Bergen herabfegte, rüttelte er sich so weit aus seiner Pein auf, dass er die Umgebung wieder wahrnahm. Seine übliche Zeit, das Lager aufzuschlagen, war

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