Alissa 1 - Die erste Wahrheit
Bergen hierhergeführt hatte, wieder dorthin zurück, als könnte er dadurch auslöschen, was am Ende dieses Weges geschehen war.
– 5 –
A lissas Bündel glitt mit einem dumpfen Schlag zu Boden. Sie tat es ihm gleich und brach als erschöpftes Häuflein auf der harten, dünnen Erde zusammen, die sogar der Wind verschmähte und liegen ließ. Die Abendbrise pfiff unheimlich durch den Pass, der vor ihr lag. Nun, da sie sich nicht mehr bewegte, wurde die Kälte rasch schneidend und trocknete den Schweiß auf ihrer Stirn beunruhigend schnell. Nicht mehr lange, und die Sonne würde untergehen. Sie musste sich beeilen, ihr Lager aufzuschlagen. Aber im Moment konnte sie sich nicht aufraffen, sich wieder in Bewegung zu setzen, ganz gleich wofür.
Kein Wunder, hatte sie diesen albtraumhaften Tag doch damit verbracht, sich selbst zu foltern. Im Morgengrauen, in ihrem Lager am See, war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie immer noch zu langsam vorankam. Ihre Mutter behauptete, der Weg zur Feste dauere einen Monat, aber diese Angabe entsprach der Reisegeschwindigkeit ihres Papas, nicht Alissas. Außerdem kannte er den Weg. Wenn man ihr Vorankommen so betrachtete, sah es aus, als befände sie sich auf einem vergnüglichen Ausflug, nicht auf der verzweifelten Mission, eine mythische Burg zu finden, bevor der Schnee die Berge unpassierbar machte. Deshalb hatte sie heute ihre Pausen halbiert und ihre Qualen vervierfacht.
Alissa ließ den Kopf in den Nacken fallen, um ihre schmerzenden Schultern zu lockern. Schmerz schoss ihren Nacken hinab, während sie verzweifelt in den Himmel blickte. Der erste Stern des Abends starrte vorwurfsvoll auf sie herab. Mit einem unwilligen Stöhnen stand sie auf und versprach sich selbst ein warmes Abendessen und zumindest eine Katzenwäsche.
Sie spürte, wie sie immer steifer wurde, während sie hangabwärts nach Kralle Ausschau hielt. Der kleine Vogel war weit zurückgeblieben und hüpfte unentschlossen im nächsten Baum herum. Gras war an diesem windigen Hang schon selten genug, von Bäumen ganz zu schweigen. Doch ein früherer Reisender hatte einen Stapel halb verrottetes Holz hinterlassen, und da Alissa ihre eigene Faulheit kannte, wusste sie, dass sie ihr Lager genau hier aufschlagen würde, ob es Kralle passte oder nicht.
Unter dem schmerzlichen Protest ihrer Muskeln kniete sie sich hin, um Feuer zu machen. Mit Hilfe des Windes züngelten bald Flammen auf, die nach den Schatten schnappten, bis diese sich in die Nacht zurückzogen. Doch die Flammen fraßen sich schneller durch das trockene Holz, als Alissa lieb war. Sie sah sich nach Kralle um. Die hatte sich noch nicht vom Fleck gerührt. »Komm schon, Kralle!«, rief sie, so laut sie konnte. Trotz des Feuers war ihr kalt, und sie musste noch Wasser holen. Doch Kralle stieß nur einen traurigen Ruf aus, flatterte mit den Flügeln und weigerte sich, ihren Baum zu verlassen. »Alberner Vogel«, brummte Alissa; sie wusste zwar, dass Kralle sich nicht gern an so offenen Stellen aufhielt, aber sie war zu müde, um sich etwas daraus zu machen.
Sie schürzte beim Blick in den sich rasch verdunkelnden Himmel besorgt die Lippen und sah sich dann nach den Gipfeln um, die hoch um sie herum aufragten. Die Sonne war weg, beschien aber noch die Berggipfel, die in unwirklichen Rosa- und Rottönen glühten. Sie senkte den Blick zu dem kleinen, kläglichen Schatten Kralles, die nur noch als Silhouette vor dem Himmel zu erkennen war. »Komm her«, rief sie erneut. »Du kannst doch auf dem Feuerholz sitzen.«
Sie versetzte dem Stapel einen schwachen Stoß und stolperte, als ihr Fuß durch das verfaulte Holz brach. Maden und anderes Getier fielen heraus, als sie schaudernd ihren Fuß zurückriss und ihn heftig schüttelte, um die Biester loszuwerden.
»Das sind nur ein paar Würmer!«, rief sie, doch Kralle rührte sich nicht. »Schön!«, schrie Alissa. »Dann eben nicht. Von mir aus kannst du die ganze Nacht da unten bleiben!« Sie schnappte sich ihren Wasserschlauch und stapfte davon, über ein Geröllfeld zu dem Bach, den sie vorhin entdeckt hatte. Es war nicht weit, aber der Bach verlief am Grund einer steilen Schlucht.
Das spärliche Licht war fast völlig erloschen, als Alissa den Rand der Schlucht fand und nervös hinunterschaute. Sie konnte das Bächlein hören, das durch sein felsiges Bett plätscherte; der letzte Rest Licht spiegelte sich auf seiner schimmernden Oberfläche und zeigte ihr den Grund der Klamm. Der kurze Spaziergang
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