Alissa 1 - Die erste Wahrheit
Kartoffeln.
»Papas Geschichten von der Feste«, schnaubte sie nervös, als sie das ungewohnte Gewicht nun an ihrem Hals spürte. Die Feste war gleichbedeutend mit Meistern, und Meister mit Bewahrern, und Bewahrer mit Magie, und Magie? Alissa brummte verächtlich. Magie war Schweinefraß. So etwas gab es doch gar nicht. Sie kam sich albern und dumm vor, als sie finster auf das Beutelchen voll übelriechendem Staub hinabstarrte. Schließlich stopfte sie es unter ihren Kittel, außer Sicht.
»Was tue ich hier draußen, Kralle?«, fragte sie leise und streckte den Arm aus, um ihren Vogel zu kraulen. »Ich sollte jetzt die Schafe in den Pferch treiben, statt zuzusehen, wie die Sterne hinter dem Berg aufgehen, hinter dem sie sonst untergegangen sind.« Sie sank auf dem Boden in sich zusammen. Möglicherweise war ihr Papa ein Bewahrer gewesen. Das hieß noch lange nicht, dass sie auch einer sein musste. Und es war lächerlich, von ihr zu verlangen, dass sie glauben sollte, Bewahrer könnten Magie wirken. Ihr Papa hatte seine Geschichten über die Feste wohl kräftig ausgeschmückt, damit sie spannender klangen.
Sie hatte viel Zeit mit ihrem Papa verbracht, bevor er sie verlassen hatte. Er hatte immer sehr interessante Antworten auf ihre Fragen gehabt, und sie vermisste ihre frühmorgendliche Unterhaltung. Ein Lächeln zupfte an Alissas Lippen bei der Vorstellung, wie viel einleuchtender seine Antworten jetzt wohl wären, falls er noch leben würde. Damals, mit fünf Jahren, hatte sie nur wenig davon verstanden. Sie sollte tatsächlich zu dieser Feste gehen, und sei es nur, um irgendetwas von ihrem Papa zu finden. Sobald sie dort etwas von ihm gesehen hatte, konnte sie ja wieder nach Hause gehen. Und es fühlte sich wirklich richtig an, unterwegs zu sein. Seit die Wilden Möhren blühten, war sie ungewöhnlich rastlos gewesen.
Doch von ihr zu verlangen, dass sie nun an Magie glauben sollte, war lächerlich. Zauberei war etwas für kleine Kinder und ungebildete Leute von der Küste. Ihr Glaube an Magie und daran, dass alles immer irgendwie gut ausging, war an dem Tag gestorben, als ihr Papa nicht nach Hause gekommen war. Allerdings, gestand sie sich ein und bewegte die Stiefelspitze im Laub herum, gab es unerklärliche Begabungen, die gelegentlich irgendwo auftauchten. Die waren wirklich. Sie hatte etwas darüber gelesen .
Alissa wusste, dass sie keine Shaduf war. Sie mochte zwar jähzornig sein, doch ihre plötzliche Wut kam gewiss nicht daher, dass sie die Umstände ihres eigenen Todes kannte. Dass sie eine Septhama sein könnte, war völlig unmöglich. Alissa hatte noch nie auch nur einen Geist gesehen und schon gar keinen ausgetrieben. Und eine Heiratsvermittlerin? Eine Aura war für sie nur eine geheimnisvolle, noch nie gesehene Vorstellung. Das Einzige, was sie gelegentlich um die Gestalt ihrer Mutter herum wahrgenommen hatte, war entschieden schlechte Laune. Außerdem, dachte Alissa gereizt, gab es bekannte Methoden, solche bizarren Spielereien der Natur zu fördern. Keine dieser Methoden sah vor, dass man aus dem Haus geworfen wurde, um irgendeine mythische Festung zu suchen.
Alissa kramte erneut in ihrem Bündel, diesmal auf der Suche nach ihrer Flöte. Trotz ihrer dringenden Bitten, ihr so etwas zu ersparen, hatte ihre Mutter darauf bestanden, dass eine echte Dame mindestens ein Instrument beherrschen müsste; außerdem, so behauptete sie, beruhige es die Schafe, und Zicke gebe bessere Milch, wenn man ihr etwas vorspielte. Alissa war sich schmerzlich bewusst, dass sie nicht besonders gut Flöte spielte. Aber es erinnerte sie an zu Hause und würde sicher gegen diese lauernde Melancholie helfen.
Ein vorsichtiger Ton trieb durch die Dämmerung und hallte in der aufsteigenden Feuchtigkeit sacht von den fernen Gipfeln wider. Das gefiel Alissa, und sie sandte einen weiteren Ton hinterher. Langsam entwickelte sich eine zögerliche Melodie daraus. Das Echo bildete einen sanften Kontrapunkt, merkwürdig und surreal, kaum hörbar über dem Lärm der Grillen. Es war das Wiegenlied, mit dem ihre Mutter sie als Kind in den Schlaf gesungen hatte. Das erschien ihr passend.
Die Sterne leuchteten nun heller. Sie waren ungewöhnlich klar zu erkennen, denn der Mond war nur eine schmale Sichel, die sich erst gegen Sonnenaufgang zeigen würde. Alissa entspannte sich allmählich, die Musik und die nächtliche Stille wirkten zusammen und besänftigten ihren Kummer. Zumindest erlaubten sie ihr, ihre Sorgen für eine Weile zu
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