Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
Feuers drängte sich zusammen und füllte die gesamte Kugel aus, so dass ein faustgroßer, bewegter Ball aus Rot und Orange entstand. Das war ein nutzloser Trick, dachte sie, aber hübsch. Alissa legte eine zweite Kugel so, dass sie sich mittig mit der ersten überschnitt, und die Flamme reichte nun höher als normal, von ihrem Feld nach oben gelenkt. An einem guten Tag konnte sie schon vier Felder auf einmal halten.
Das leise Scharren von Stiefeln war zu hören. Alissa blickte auf und ließ schuldbewusst ihre Felder fallen. Strell konnte nicht so schnell schon fertig sein! Doch er grinste sie ein wenig höhnisch, aber freundlich von der offenen Tür aus an. »Bei den Hunden«, sagte er gähnend. »Wie spät ist es? Mitten in der Nacht?«
Alissa zog die Augenbrauen hoch, als sie ihn musterte. »Du hast dich nicht rasiert.«
»Später, später«, sagte er und rieb sich die kratzig aussehenden Stoppeln. »Ich kann Bailic nicht warten lassen. Er ist bereits im Garten. Von meinem Fenster aus kann man ihn sehen … und beinahe auch grummeln hören.«
Alissa stand auf, erleichtert, dass er das seltsame Verhalten ihres Feuers nicht bemerkt hatte. »Dann lass uns gehen.«
Der frühe Morgenhimmel war durch die Fenster nur als leicht hellere Schwärze zu erkennen. Noch beleuchtete kein heraufziehender Tag ihren Weg die dunkle Treppe hinunter. Doch das machte nichts. Der Weg war ihr so vertraut wie die Pfade auf dem elterlichen Bauernhof.
»Wo ist Kralle?«, fragte Strell, als sie die oberste Galerie über der großen Halle erreichten.
»Küche. Wir Damen sind so früh aufgestanden, dass wir schon frische Brötchen gebacken haben.«
Strell brummte und nickte ihr zu. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich heute das Abendessen mache? Ich kenne da ein Gericht, zu dem ich deine Meinung hören möchte. Es ist so eine Art Familientradition. Ganz aus Karotten, zu Ehren des neuen Frühlings.«
»Bei den Hunden, ja. Sehr gern«, plapperte sie drauflos und zögerte dann. Alles aus Karotten? Was für eine Tradition war das denn?
»Kralle«, rief Strell, als sie die Küche betraten. Er blickte hinauf ins Gebälk, und der Vogel ließ sich herabfallen, um auf seinem Handgelenk zu landen. »Was hast du heute Morgen gefangen?«, murmelte er und strich mit dem dünnen Zeigefinger über die altersgraue Zeichnung des Gefieders. Kralle hüpfte auf Strells Schulter und machte es sich an seinem Ohr gemütlich, und die beiden schienen heimlich miteinander zu flüstern. Alissa schüttelte belustigt den Kopf und sah nach dem Frühstückstablett.
Gähnend schlüpfte Strell in seinen Mantel und griff nach dem Tablett. »Ich nehme das.«
Alissa lächelte dankbar und nahm drei Becher. Zu Strells großer Enttäuschung war sie so klug, Lodeshs Becher zurückzulassen. Strell würde sich mit, wie er das nannte, Talo-Toecans Fingerhüten begnügen müssen. »Was für ein herrlicher Tag«, rief sie leise, als sie die Hintertür öffnete und Kralle sich in den frisch gewaschenen Himmel aufschwang.
»Ach ja?«, brummte Strell. »Für mich sieht das immer noch wie Nacht aus.«
»Sei nicht so ein Griesgram«, schalt sie fröhlich, den Blick tief in den klaren, wie transparent erscheinenden Himmel gerichtet. »Der Frühling ist da. Siehst du ihn denn nicht?«
»Es ist zu dunkel«, erwiderte er mürrisch und unterdrückte ein weiteres Gähnen.
Alissa versetzte ihm einen freundschaftlichen Schubs und ging frohgemut voraus, obwohl ihre Schuhe an den Zehen rasch feucht wurden. Sie hätte ihre Stiefel anziehen sollen, doch sie hatte sie nicht finden können, und im Grunde war es ihr auch gleich: Der Morgen war so herrlich.
Nun, da der Schnee geschmolzen war, würde sie bald sehen, was für Überraschungen Nutzlos’ Garten bereithielt. So verwildert und vernachlässigt er auch war, gewiss würde sich unter dem Unkraut der eine oder andere Schatz finden, und es juckte sie in den Fingern, sich auf der Suche danach die Hände schmutzig zu machen. Der warme Regen von der Küste hatte es in der vergangenen Nacht endlich über die ersten Bergkämme geschafft und nur weiche schwarze Erde zurückgelassen.
»Guten Morgen, Bailic!«, rief Alissa fröhlich, als sie um die Kurve kamen.
Er riss den Kopf hoch, offensichtlich verblüfft über ihre angenehme Stimme. Strell wirkte ebenfalls überrascht und warf ihr einen langen, fragenden Blick zu, bevor er das Tablett abstellte. Das leise Klirren der Teller klang anheimelnd und genau richtig zwischen den tropfenden
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