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Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Titel: Alissa 2 - Die geheime Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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nach den eingemauerten Eisenringen, durch die das Band gezogen war. Die Feste ihrer sämtlichen Habseligkeiten zu berauben hatte ihm ein Gefühl der Kontrolle über das uralte Gemäuer gegeben. Die Jahreszeiten-Banner waren sofort im Lager verschwunden, gleich am nächsten Morgen, nachdem er Talo-Toecan eingeschlossen hatte. Sie nun wieder hängen zu sehen gab ihm das Gefühl, als hätte sich etwas verändert, ohne dass er es bemerkt hatte. Sogar die Farbe stimmte – Weiß für den schmelzenden Schnee.
    Braun für Felder unter dem Pflug, dachte Bailic und verfiel in den einfachen Reim, den er als Schüler gelernt hatte. Grün für der Sonne gewendeten Zug. Rot für den ersten frostigen Kuss / Weiß für den Winter zum Abschiedsgruß. Gold für Träume, die wahr geworden / Blau für die Augen meiner Auserkor’nen. Bailic runzelte die Stirn. Oder Grün, oder Braun. Manchmal auch Gold, wenn ein Meister es sang. Doch niemals Rosa.
    »Talo-Toecan trinkt wohl immer noch Tee mit der Kleinen«, knurrte er. Woher sonst sollten die jungen Leute wissen, dass Weiß die richtige Farbe war – was seit fast vierhundert Jahren galt? Das Band war sogar genau zum richtigen Zeitpunkt erschienen. Nur ein Meister hätte erraten können, dass die Fensterbanne heute Nacht fallen würden. Das Band war gestern noch nicht da gewesen. Es zu früh aufzuhängen würde Unglück bringen.
    Unglück bringen. Unglück bringen. Die Worte hämmerten auf Bailic ein, während er die restliche Treppe hinuntereilte. Offenbar hatte er seinen Gästen viel zu viel Freiheit eingeräumt. Sie fingen an, seine gründliche Attacke auf die Feste rückgängig zu machen. Ihre Domäne, in der Tat! Zutiefst verärgert trat er von der letzten Stufe in die große Halle und blieb stehen wie angewurzelt, als seine Schuhe nicht auf Stein, sondern Stoff trafen. Ungläubig blickte er hinab. Es war zu dunkel, um es genau zu sehen, doch an der vertrauten Weichheit unter seinen Füßen erkannte er, dass der große Teppich mit der Darstellung des in ewigem Wandel begriffenen Laufs der Sonne wieder an seinen Platz gelegt worden war. Das Blut rauschte Bailic in den Ohren, und er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, bevor er den Speisesaal betrat.
    »Bei allen Sternen am Himmel!«, keuchte er. Er war seit einigen Wochen nicht mehr hier gewesen. Der Raum sah wieder so aus wie zu früheren Zeiten. Die Tische standen nicht richtig, aber ansonsten war es beinahe vollkommen. Alles war genauso wie vor fast zwanzig Jahren: die Teppiche, die Vorhänge, der kleine Tisch vor dem Kamin, sogar das Bild über dem Kaminsims, dieses ganz in Blautönen gehaltene, das ihm stets einen Schauer über den Rücken jagte. Woher hatten sie all das gewusst? Es war perfekt.
    Beinahe, dachte er innerlich kochend. Es standen zwei Sessel vor dem Feuer, wo traditionell nur einer zu stehen hatte. »Und es riecht nach – Euthymienholz«, flüsterte er und zwang sich zur Ruhe, während er den angenehmen Duft einsog. Er war überall und vermengte sich mit dem leicht fauligen, erdigen Geruch, der zwischen den geblähten Vorhängen hindurch aus dem Garten herein wehte.
    Er kannte diesen Duft gut, denn als Bewahrer hatte er das Recht gehabt, ein ziemlich großes Stück davon zu besitzen, fast so lang wie sein Zeigefinger. Er hatte es an einer Kette um den Hals getragen, bis ein Bewahrer, den er eines Nachmittags kurz bei sich »zu Gast« hatte, es ihm entriss und behauptete, Bailic habe kein Recht mehr darauf. In seinem rasenden Zorn hatte Bailic vergessen, ihm das Stück Holz wieder abzunehmen, bevor er den anderen Bewahrer buchstäblich zu Staub und Asche verbrannt hatte.
    Das Feuer war nur ein schüchternes orangerotes Zünglein, und Bailic glitt durchs Halbdunkel zum Tisch, um ihn näher zu erkunden. Anscheinend fertigte der Pfeifer gerade irgendetwas an, denn Bailic erkannte die Umrisse von Sägen und Bohrern. Der Boden war mit Holzspänen übersät, und er hob eine Handvoll auf und hielt sie sich unter die Nase. »Ja«, flüsterte er. »Das ist tatsächlich Euthymienholz.« Splitter und Späne davon lagen herum, als sei dies ganz gewöhnliches Holz, das man wie ein Tischler bearbeiten konnte. Erschrocken erkannte Bailic, dass der Tiefländer Euthymienholz benutzte, um sich eine Flöte zu schnitzen. Woher hatte er genug für eine ganze Flöte?
    Die offensichtliche Antwort lautete: Talo-Toecan. Das stellte keinen Bruch ihrer Abmachung dar, aber es war nahe daran. Bailics Blick hob sich zu dem Durchgang zur

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