Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
ut«, gestand Bailic widerwillig zu, als die Lichtkugel des Pfeifers aufleuchtete. »Löse den Bann und beginne von vorn. Aufbau und Auflösung sind wichtiger. Die Aufrechterhaltung ist einfach.«
Bailic sah nach dem Licht, das an den Mauern der Feste herabkroch. Er wollte nicht im Garten sein, wenn die Sonne das Fleckchen Erde erreichte, auf dem er stand. »Mach es heller«, befahl er dem Pfeifer, der zusammengesunken dasaß und voller Konzentration den Kopf auf die Hände gestützt hatte. Bailic zog seinen Mantel fester um sich. Es war kalt, und der ätzende Geruch erfrorener, verrottender Pflanzen kratzte ihm in der Kehle. Sobald er herausgefunden hatte, wie weit der Mann kommen konnte, würde er für heute Schluss machen und sich vor sein Feuer zu seinen Büchern zurückziehen.
Er war fast fertig mit der Entzifferung dieses zweiten Bandes, den er gefunden hatte; er erklärte den effektiven Einsatz von Angst und Aberglauben als Werkzeuge. Bailic war begierig darauf, das Werk endlich im Ganzen zu lesen. Das war natürlich die milde Strategie der Meister, die dazu diente, die Massen von den Bergen fernzuhalten, doch er stellte sich vor, dass man sie auch dazu benutzen konnte, die Leute aus ihrer Heimat zu vertreiben – wenn man sie richtig einsetzte.
Bailic ließ sich auf die Bank sinken und erstarrte kurz, als er die Kälte des Steins spürte. Er sah zu, wie das Mädchen sich entfernte, um im Dreck herumzuwühlen. Sie machte ihre Kleider schmutzig, bemerkte Bailic mit hämischem Lächeln. Man kann Bauern zwar von ihrem Hof entfernen …
Ein leises Geräusch zog seinen Blick zu der langen Reihe schweigender Fenster, hinter denen einst die Bewahrer gewohnt hatten, und er starrte stirnrunzelnd hinauf. Irgendetwas war anders. Die Sonne schien kraftvoll und beleuchtete die Fensterläden vor Mesons Gemach so deutlich, dass Bailics schlechte Sicht sich zu klären schien. Einer der Läden war nicht richtig befestigt worden und klapperte in der auffrischenden Brise mit einem entnervenden, unregelmäßigen Geräusch gegen die Mauer.
Bailic starrte darauf, und seine Stirn runzelte sich. Meson hatte nie Läden vor seinen Fenstern gehabt. Niemand hatte so etwas. Sie wurden nicht gebraucht. Sobald die Feste die Fensterbanne löste, wenn der Sommer kam, bannte jeder sein Fenster selbst oder bat jemand anderen darum, wenn er nicht die Fähigkeit dazu besaß. Deshalb hatte Bailic auch den Bann im Zimmer des Pfeifers ersetzt, den dieser vor vier Monaten herausgesprengt hatte. Der allgemeine Fensterbann war erst gestern Nacht gefallen. Seither war gar nicht genug Zeit gewesen, um Fensterläden zu zimmern. Warum, fragte sich Bailic, hatte das Mädchen Läden vor den Fenstern?
Er rückte ein wenig beiseite und betrachtete Strell, der schweigend und reglos in tiefer Konzentration dasaß. »Heller«, sagte er leise, und die kleine, aber gut konstruierte Kugel verdoppelte ihre Leuchtkraft.
Bailic wurde es plötzlich eiskalt, als er erkannte, dass er in jener Nacht, als die Feste bis auf die Grundmauern erschüttert worden war, Mesons Zimmer nicht auf Schäden überprüft hatte. Doch wie oft hatte er sich Mesons Klagen darüber anhören müssen, wie ungerecht es sei, dass einzig sein Zimmer und das daneben einen gemeinsamen Rauchabzug hatten? Die Kraft der Explosion hätte leicht die Fensterbanne in beiden Zimmern brechen können, indem sie sich durch den Kamin ausbreitete. Das würde bedeuten, dass die Energie, die der Pfeifer manipuliert hatte, zehnmal stärker war, als Bailic bisher angenommen hatte.
Bailics Atem beschleunigte sich, und er stellte sich neben Strell. Konnte es sein, dass der Mann sich bewusst zurückhielt und zu viel mehr fähig war, als er vor Bailic zu erkennen gab? Bailic beobachtete, wie sein Schüler einen weiteren, langsamen Atemzug tat. So entspannt!, dachte er erschrocken. Wie konnte der Mann so entspannt sein, während er genug Energie kanalisierte, um sein gesamtes Netzwerk zu verbrennen? Dann hörte Bailic ihn leise seufzen und beugte sich weiter hinab.
»Er ist nicht entspannt. Er schläft!«, flüsterte Bailic entsetzt. Er richtete sich auf, Angst durchfuhr ihn und lieferte ihn dem eisigen Hauch des Zweifels aus. Wer? , dachte er. Wer hält diesen Bann? Denn der Pfeifer konnte es nicht sein, nicht, während er schlief.
Bailic sandte einen verzweifelten Gedanken aus auf der Suche nach weiteren Anwesenden außer ihm, dem Pfeifer und dem Mädchen. Seine geistige Suche war leistungsfähiger als sein
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