Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
drei Tagen kaum verlassen.«
Alissas Lächeln erlosch, und sie erwog ihre Aussichten. Warmes Wasser und Essen, oder noch länger verkrampfte Finger und mehr kalter, schmieriger Ton. Sie schüttelte den Kopf, rückte sich auf dem harten Schemel zurecht und beugte sich wieder über ihre Schüssel. »Da musst du mir schon etwas Besseres bieten«, sagte sie.
Er seufzte. »Wie wäre es damit: Du darfst die ersten drei Stücke aussuchen, die ich heute Abend spiele?«
Schockiert über dieses Angebot, blickte Alissa auf. Sein Gesicht war plötzlich qualvoll verzerrt, und sie wandte den Blick ab, ehe er merkte, dass sie es gesehen hatte. Strell konnte nicht mehr spielen. Der Stummel, den Bailic von seinem Finger übrig gelassen hatte, war zu kurz, um das letzte Loch der Flöte zu erreichen, ohne dass er seine gesamte Hand verzerrte. Das brachte alles aus der Reihe, störte die Harmonie und verhinderte den leichten Fluss der Musik, an dem Strell so hart gearbeitet hatte, um ihn zu vervollkommnen. Sie hatte gehört, wie er es einmal spätnachts versucht hatte. Seine plötzlichen falschen Töne und die stockende, zögerliche Spielweise waren durch ihren gemeinsamen Rauchabzug zu ihr gedrungen. Sie hatte gelauscht und hilflos und elend ein Kissen an sich gedrückt. Seither hatte er keinen Ton mehr gespielt.
»Nein«, sagte sie beiläufig, denn sie wollte ihn nicht merken lassen, dass sie davon wusste. Ihr war klar, dass sein Schmerz zu tief und frisch sein musste, als dass Strell ihr Mitgefühl annehmen könnte. Vermutlich würde er es als Mitleid ablehnen.
Er stieß den Atem aus und beschäftigte sich so, dass er ihr den Rücken zuwenden konnte. »Wie wäre es, wenn ich dir wieder ein Abendessen im Garten serviere?«, bot er an.
»Klingt gut, aber es ist zu kalt«, sagte sie, ohne aufzublicken.
Eine Seite der Schüssel war definitiv höher als die andere, und sie griff nach dem hölzernen Messer, um sie zu kürzen. »Warum werden deine immer so hübsch?«, brummte sie und beäugte den halb gegessenen Apfel, den er auf dem Tisch hatte liegen lassen. Zu Asche sollte er verbrannt sein. Sie konnte den süßen Duft bis hierher riechen.
Er kniete sich hin, um ein eingebildetes Stäubchen von einer seiner Schüsseln zu wischen. »Ich habe begonnen, Schüsseln zu drehen, als ich zwei war.«
Alissa nickte, denn das konnte sie akzeptieren. Sie wandte sich wieder ihrer Katastrophe zu. Auf der einen Seite war die Wand der Schüssel dicker als auf der anderen. Die Unterlippe zwischen den Zähnen, versuchte sie, sie auszugleichen. Dadurch wurde aber nur der Boden schief. »Trotzdem«, sagte sie vorwurfsvoll und hoffte immer noch, dass es einen ganz einfachen, geheimen Trick gab, den sie ihm nur zu entlocken brauchte, »bist du vor vielen Jahren von zu Hause fortgegangen. Als du dich neulich an die Scheibe gesetzt hast, sah es ganz so aus, als hättest du schon seit einer Woche heimlich geübt! Der Ton hat die gewünschte Form angenommen, als wollte er dir alles recht machen.«
Strell kam zurück und nahm den Apfel wieder an sich. »Man kann nicht vergessen, wie man Ton bearbeitet. Wenn man es einmal konnte, meine ich. Und außerdem« – er hielt inne, um den letzten Rest von seinem Apfelbutzen zu knabbern – »war ich der Beste unter all meinen Geschwistern.«
Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Der Beste?«
Er nickte und lächelte mit nicht zu übersehendem Stolz.
»Warum hast du dir überhaupt die Mühe gemacht?«, fragte sie. »Du wusstest doch früh, dass du nicht würdest bleiben dürfen.«
Stirnrunzelnd warf Strell den Apfelbutzen in einen leeren Eimer. Das matschige Plumpsen, mit dem er darin landete, erschien ihr unnatürlich laut für das winzige bisschen, das er von dem Apfel übrig gelassen hatte. »Ja«, sagte er zögerlich. »Ich wusste seit meinem achten Lebensjahr, dass ich würde gehen müssen, doch ich wusste nicht, warum.« Sein Blick wirkte gedankenverloren. »Ich kann es meinen Eltern nicht verdenken, dass sie mir das nicht gesagt haben. Aus dem Familienhandwerk ausgestoßen zu werden, um einen Pakt zu erfüllen, der Jahrzehnte zuvor geschlossen wurde, ist schändlich, selbst dann, wenn die Vereinbarung mit einer Shaduf geschlossen wurde. Ich glaube, meine Eltern haben das Versprechen meines Großvaters nur aus dem Grund erfüllt, um sicherzustellen, dass die Vorhersage der Shaduf sich nicht ändern und mein Familienname wieder in Vergessenheit geraten würde.« Sein Blick klärte sich. »Aber«,
Weitere Kostenlose Bücher