Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
wieder über ihre Arbeit, um ihm ein wenig Ruhe zu gönnen. Die Scheibe war beinahe zum Stillstand gekommen, und sie trat kräftig auf das Pedal, um sie anzutreiben. Ihre Schüssel war das Letzte, woran sie dabei dachte, so dass sie prompt ungeschickt dagegenstieß und nur hilflos nach Luft schnappen konnte, als diese mit feuchtem Schmatzen zusammenfiel. »Oh nein«, stöhnte sie. »Jetzt muss ich wieder ganz von vorn anfangen.« Kläglich hob sie den Blick zur Wand. Der Sonnenstrahl war weg.
Stumm legte Strell den Kopf in den Nacken, um nach dem verblassenden Tageslicht zu sehen. Er lächelte, wandte sich ab und tat so, als hätte er nichts bemerkt.
»Danke«, sagte sie schüchtern. Ohne sie anzusehen, gab er ein leises Brummen von sich. Alissa vermutete, er freute sich darüber, dass sie so viel Interesse an seinem Familienhandwerk zeigte – trotz seiner Versuche, sie von der Töpferscheibe wegzubekommen. Er hatte ja nicht ganz unrecht: Sie versuchte es nun seit drei Tagen, war aber immer noch so schlecht wie ganz zu Anfang. Sie war durchgefroren und hungrig, und dieses dumme Ding würde nie so aussehen, wie sie es haben wollte. »Strell?« Ihr Flüstern hallte durch die Stille, und er drehte sich um. »Zeigst du mir, wie es geht?«
Ein weiches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er nickte. Alissa erhob sich langsam, damit er ihren Platz einnehmen konnte, doch er bedeutete ihr, sitzen zu bleiben. Zu ihrer großen Überraschung zog er einen Schemel heran, setzte sich ihr gegenüber an die Scheibe, und mit ein paar geübten Tritten begann sie sich gleichmäßig zu drehen. »So«, sagte er, streckte die Hände aus und legte sie auf Alissas. Ihre Augen weiteten sich bei seiner Berührung, und gemeinsam, ihre Finger zwischen dem Ton und seinen Händen, drängten sie die verformten Klumpen zu einem kleinen Hügel zusammen.
»Spürst du, wie er summt?«, fragte er. Sie nickte, noch immer nicht sicher, was sie von dieser beiläufigen Berührung halten sollte. Doch es schien tatsächlich, als summe der Ton unter ihren Handflächen. »Das bedeutet, dass das Stück zentriert ist«, sagte er. »Jetzt achte auf den gleichmäßigen Druck, den man ausüben muss, um die Form zu verändern.« Ihre Hände bewegten sich gemeinsam, und sie fuhr leicht zusammen, als der Rand ihrer Hand die mit körnigem Lehm beschmierte Scheibe berührte. »Wie bei jedem Unternehmen ist es stets am besten, Veränderungen von unten her einzuleiten«, erklärte er leise, den Blick auf den Ton gerichtet. »Wenn man in der Mitte anfängt, ruiniert man den Anfang und das Ende, wie bei einer guten Geschichte.«
Er beugte sich vor, so dass sein Kopf beinahe ihren berührte, und sie erstarrte. Strell nickte. »Ja. So ist es besser. Wenn du zögerlich zugreifst, wird er rebellieren und dir davonlaufen. Wenn du zu fest zupackst, wird er dasselbe tun. Ton möchte eher … gelockt werden, könnte man sagen.«
Unter ihrem gemeinsam ausgeübten Druck verwandelte sich der Hügel in eine vollkommen runde, dicke Säule. Ihr Blick huschte zu seiner verstümmelten Hand. Seine Finger waren mit ihren verschlungen, so dass sie Schwierigkeiten hatte, seinen kleinen Finger zu finden. Bisher hatte er versucht, ihn zu verbergen, er hatte sich sogar geweigert, ihn ihr zu zeigen, als sie sich vergewissern wollte, ob er gut verheilte. Doch jetzt, da er versuchte, ihr sein erstes Handwerk beizubringen, erlaubte er sich, den Finger zu vergessen. Ein kleiner Knoten der Sorge in ihrem Bauch begann sich zu lösen.
»Wenn du sanft, aber bestimmt darangehst«, fuhr er fort, »und die Grenzen deiner Fähigkeiten genau kennst, wird der Ton bereitwillig alles tun, was du verlangst.« Ihre aufeinanderliegenden Daumen sanken in den Ton und schufen eine Art Brunnenform. Unter seinen Fingern, grau verschmiert, wurde der hohle Zylinder immer dünner und streckte sich zu einer zarten Vase in die Höhe. Sie beobachtete es genau und war gebannt davon, wie leicht das bei Strell wirkte. Das war eher Magie als eine Fertigkeit. »Und vielleicht«, sagte er, ganz in seiner Arbeit versunken, »erschafft er aus sich selbst etwas, das du nie erwartet hättest.«
Sein anderer Fuß rückte vor, die Ferse bremste die kreisende Scheibe, bis sie sich kaum mehr bewegte. Er nahm ihren Zeigefinger und ließ ihn in einer engen Spirale vom Boden aufwärtsstreichen. Sie erlaubte ihm, ihre Hand zu bewegen, ließ ihn tun, was er wollte, denn er sollte wissen, dass sie nichts dagegen
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