Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
Speisesaal. Dieser ähnelte jetzt, mit ihrem Nähzeug und seinen Holzspänen übersät, eher einer gemütlichen Werkstatt.
Ein schwaches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er sich daran erinnerte, wie sie die langen schwarzen Tische gefunden hatten, die an der hintersten Wand aufgestapelt waren. Alissa hatte sie von dort weggerückt, während er in seiner Töpferwerkstatt beschäftigt gewesen war, und sie mit ihren Lederhäuten und Stoffen bedeckt. Er hatte sein eigenes kleines Chaos rasch aus der Küche hier heraufgebracht und ihrem hinzugefügt.
Er fertigte sich ein neues Instrument an. Dass Alissa ihm seine Musik zurückgegeben hatte, war eine Schuld, die er niemals würde tilgen können, doch sich eine neue Flöte zu schnitzen, auf der er für sie spielen konnte, war immerhin ein Anfang. Eine Ecke des Raums war mit seinen Holzspänen und misslungenen Versuchen übersät. Die Ansätze mehrerer guter Instrumente steckten in einem Korb unter dem Tisch, doch er hatte die korrekte Position des letzten Lochs noch nicht ganz gefunden. Das machte ihm nichts aus. Mindestens die halbe Freude an seiner Arbeit bestand darin, dass Alissa an seiner Seite werkelte.
Sie war mit ihren Näharbeiten beschäftigt, die Küche lag nebenan, und sie hatte sich diesen ungemein bequemen Sessel vor das Feuer gestellt – es war ein Wunder, dass Alissa überhaupt noch in ihr eigenes Zimmer ging. Alles, was sie sich wünschen konnte, war dort unten. Strell spürte, wie er matt zusammensank, als seine Niedergeschlagenheit zurückkehrte. Alles hier in der Feste.
Elend zog Strell seine Decke an sich und wickelte sich hinein. Er stand auf, um sein Feuer zu wecken, und ließ sich müde auf den warmen Fliesen vor dem Kamin nieder. Den ganzen Tag und den ganzen Abend lang hatten sich seine Gedanken nur um eine Frage gedreht. Konnte er, oder vielmehr, durfte er Alissa sagen, was er für sie empfand?
Strell wischte sich die Nase, schniefte und erinnerte sich mit hängendem Kopf an die Woge heftiger Gefühle, die im Übungsraum über ihm zusammengeschlagen war, als das Feld durch ihn hindurchglitt. Es hatte sich angefühlt, als schlüpfe ihr ganzes Wesen in ihn hinein, warm und tröstlich wie seine geliebte Wüste. Er war sich gewiss, dass Alissa seine Liebe erwidern würde – sie musste ihre Gefühle lediglich als das erkennen, was sie waren. Nur der Schock hatte ihn davon abgehalten, ihr auf der Stelle seine Liebe zu erklären, und er hatte erst einmal die Flucht ergriffen, um seine wirren Gedanken und Gefühle zu ordnen.
Den restlichen Vormittag hatte er damit verbracht, seinen Mut zu einem einzigen Häuflein Wahrheit zusammenzufegen. Voll Hoffnung und Zuversicht suchte er sie auf, entschlossen, es ihr zu sagen. Doch er hatte sie im Schneidersitz auf ihrem Arbeitstisch im Speisesaal vorgefunden, wo sie ihr neues Spiel mit den Feldern übte, und seine Entschlossenheit war zu Hoffnungslosigkeit zerschellt. Sie sah in diesem Augenblick so glücklich und zufrieden aus, so sehr am rechten Fleck, wie sie Fähigkeiten übte und genoss, mit denen er sich niemals würde messen können. Da erkannte er, dass er kein Recht hatte, ihr seine Liebe zu gestehen. Und diese Erkenntnis nagte nun an ihm.
Sie gehörte hierher. Hier auf der Feste würde sie als Bewahrerin leben. Sie war dazu geboren, und nun konnte sie diese Begabung ausleben und unter Talo-Toecans Anleitung ihr volles Potenzial entfalten. Irgendjemand, vermutlich der alte Meister selbst, würde Bailic ein Ende bereiten. Die Feste würde wieder zum Leben erwachen, und Alissa würde bleiben, während Strell dann gehen musste. Er wusste, dass er kein Bewahrer war. Für beide Berufe, die er erlernt hatte, brauchte er Menschen als Kundschaft, und er würde Alissa nicht bitten, ihren Platz hier aufzugeben und gegen das unsichere Leben an der Seite eines fahrenden Musikanten einzutauschen. Das konnte er nicht tun, nicht nach dem, was er heute Vormittag gesehen und erlebt hatte. Ihre Gabe war zu machtvoll und würde es nicht zulassen, dass Alissa sich an einen Mann wie ihn fesselte.
Strell drehte sich ungeschickt um und holte ein zusammengefaltetes Stück Stoff aus einer Tasche. Mit vor Kälte steifen Fingern schlug er es auf und enthüllte den zarten Talisman aus gesponnenem Gold; er hatte ihn aus Alissas Haar gefertigt, von dem noch etwas übrig geblieben war, nachdem er ihren Glücksbringer geknüpft hatte. Dieser hier glich dem ihren in jeder Hinsicht, bis auf eine. Sein Talisman sollte
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