Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
kein Glück bringen, sondern etwas unendlich Kostbareres: Liebe. Er lächelte schwach. Alissas Augen hatten vor Freude geleuchtet, als er ihr den Talisman geschenkt hatte. Er musterte seine Version und fragte sich, ob es klug gewesen war, dieses Ding zu machen, ob es nun auf der Einbildung einer alten Frau beruhte oder nicht. Vorsichtig schlug er ihn wieder in das cremefarbene Stück Stoff ein und schob ihn zurück in die Tasche.
Asche, dachte er kläglich. Was sollte er nur tun? Er hatte die Vorurteile zweier Welten umsonst überwunden. Er war mit einem verbrieften Namen geboren worden und konnte seine Abstammung bis zu den ersten Familien zurückverfolgen, die sich in der Ebene niedergelassen hatten – und dennoch war er nicht gut genug für sie. Nicht, wenn sie eine Bewahrerin war.
Wenn Bailic nicht wäre, würde er fortgehen, sobald das Tauwetter einsetzte, ehe die Dinge noch komplizierter wurden. Doch er musste abwarten, bis Bailic tot war. Er würde seine Alissa vor diesem Wahnsinnigen beschützen oder bei dem Versuch sein Leben lassen. Und sein Tod erschien ihm allmählich immer wahrscheinlicher. Es war lächerlich, davon auszugehen, dass sie ihre Farce noch lange durchhalten konnten. Es war schieres Glück, das sie überhaupt so weit gebracht hatte, und wenn dieses Glück sie verließ, würde es vorbei sein.
Strell schloss die Augen. Er würde so oder so verlieren. Falls Bailic siegte, würde Strells verrücktes, durcheinandergewirbeltes Leben vorbei sein. Falls Alissa erfolgreich war, würde das, wofür er lebte, für immer unerreichbar werden. Es war eine schwierige Situation, in der er sich befand, doch er war bereit, sie zu ertragen. Nachdem er gestern gesehen hatte, mit welcher Freude sie an ihren Feldern übte und eine von Kralles Federn auffing, als sie herabsank, würde er es niemals über sich bringen, ihr seine Gefühle zu gestehen. Damit würde er alles nur schlimmer machen, ganz gleich, was die Zukunft bringen mochte.
Sein Zimmer verdunkelte sich, als der Mond hinter einer Wolke verschwand, und in der plötzlichen Schwärze saß Strell vor seinem Kamin und brütete vor sich hin. Er war es gewohnt, Vernunftehen als üblich anzusehen. Im Tiefland verheiratete sich eine junge Frau, so gut sie nur konnte, um möglichst dafür zu sorgen, dass sie und ihre Kinder während der langen, kalten Winter nicht hungern würden. Denn Hunger war zu verbreitet, als dass jemand diese Sicherheit um bloßer Gefühle willen aufs Spiel setzen würde. Damit war er groß geworden, und er akzeptierte es, doch deshalb musste es ihm noch lange nicht gefallen. Lodesh würde vermutlich gern die Lücke füllen, die Strell hier hinterlassen würde.
Er runzelte die Stirn und konnte sich eines angespannten Gefühls der Rivalität nicht erwehren. Er hatte die Stallungen in letzter Zeit im Auge behalten und Sand auf dem Boden verstreut, um sogleich zu sehen, ob der Stadtvogt wieder da gewesen war. Doch er hatte nichts mehr von dem Mann gesehen, und darüber war Strell froh. Es hatte ihm nicht gefallen, wie Alissa in den dunklen Stallverschlag gestarrt hatte, mit Teppichen und Tüchern zu einem behaglichen Nest ausstaffiert – sie hatte ausgesehen, als fühlte sie sich verlassen.
Es war offensichtlich, dass Lodesh Alissa auf eine Weise beschützte, wie Strell es nicht konnte. Der Gedanke machte ihn neidisch und zornig. Strell sollte in der Lage sein, sie zu beschützen. Wenn er das nicht konnte, hatte er sie nicht verdient.
Er ließ die Schultern hängen und zog die Decke enger um sich. Da war der Wind hinter dem Sturm, dachte er trübselig. Er verdiente sie nicht. Und was konnte er Alissa schon bieten? Nichts. Sogar sein Name hatte jeglichen Wert verloren.
Durch ihren geteilten Rauchabzug hörte er schwach Alissas gedämpftes Murmeln, genau zur üblichen Zeit.
»Na bitte«, sagte Strell seufzend und stand vom Boden auf. Er machte sich nicht die Mühe, seine Stiefel anzuziehen, sondern schlich sogleich durch die Dunkelheit hinüber zu ihrem Zimmer. Alissa wieder in den Schlaf zu lullen, bereitete ihm Freude. Sie wachte nie auf, und deshalb fühlte er sich frei, sie so zu behandeln, wie er es in aller Offenheit nie wagen würde. Er spielte ein gefährliches Spiel, doch er würde nichts daran verändern.
Vorsichtig öffnete er die Tür, und der schwache Duft von Kiefernnadeln und Äpfeln drang ihm in die Nase. Er schob den Kopf durch den Türspalt und blickte rasch in alle Ecken, ob Lodesh sich etwa hier aufhielt. Es war
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