Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
bedeckter so genannter Lehrmeister dir keinen simplen Schutzbann beigebracht?« Redal-Stan erhob sich steif.
Alissa öffnete den Mund.
»Ja, ich weiß«, unterbrach er sie, und sie schloss den Mund wieder. »Wir haben deine Fähigkeiten katalogisiert, und du hast einen solchen Bann nicht erwähnt, aber ich dachte, du hättest ihn schlicht vergessen.« Mit steifen Schritten ging er zum dunklen Balkon, und sie wandte sich um, um ihn im Blick zu behalten. »Das ist im Grunde gar keine Lektion«, sagte er. »Das ist eine Notwendigkeit, wie, wie …« Er gestikulierte wild mit den Armen. »Wie das Atmen!«, sagte er schließlich.
Alissa, die es satt hatte, ständig unterbrochen zu werden, schürzte die Lippen. »Und?«, rief er aus, und sie holte Luft.
»Du hättest dein neuronales Netz schwer beschädigen können«, hob er von neuem an, ohne ihren finsteren Blick zu bemerken, obwohl er sie anstarrte. »Du hast Glück gehabt, dass Connen-Neute und ich in der Lage waren, dein Gewicht zu heben und dich aus der Stadt zu tragen, weißt du? Die emotionale Druckwelle einer ganzen Stadt voll synchronisierter Gedanken, zu solcher Leidenschaft aufgepeitscht, zu kanalisieren, hätte irreparablen Schaden anrichten können, etwa an deiner Fähigkeit zu kommunizieren – oder noch Schlimmeres.«
»Dann bin ich jetzt also außer Gefahr?«, fragte sie, erfreut, ein paar Worte dazwischenschieben zu können.
»Ruhe!«, herrschte er sie vom dunklen Balkon aus an. »Ich bin noch nicht fertig.« Er stieß mit dem Fuß gegen Connen-Neutes Schemel und setzte sich darauf, als sei das Absicht gewesen. Er starrte sie an, und sie ihn. »Was hast du zu alledem zu sagen?«
»Danke?«, entgegnete sie unsicher, und er richtete sich ungläubig auf. »Vielen, vielen Dank?«, versuchte sie es erneut, und er stand auf und klammerte sich an die Brüstung. Alissa spürte Zorn in sich aufflammen. »Seid nicht böse auf mich!«, rief sie aus, und er fuhr herum. »Ich bin im Hochland aufgewachsen, allein mit meiner Mutter. Auf dem Markt hatte ich immer Kopfweh, aber ich dachte, das liege an der Hitze, am Staub oder daran, dass alle mich so hasserfüllt angestarrt haben. Und was Ese’ Nawoer angeht«, sagte sie, stand auf und trat zu ihm auf den Balkon, »so ist die Stadt leer! Er hat keine Notwendigkeit gesehen, mir beizubringen, wie ich die emotionale Druckwelle von ganzen drei Leuten abwehren könnte!«
»Drei?« Der Zorn schwand von Redal-Stans Gesicht.
»Drei!«, wiederholte sie und ließ sich niedergeschlagen in seinen Sessel auf dem Balkon fallen.
»Dann sollte ich es dir vielleicht zeigen!«, sagte er, so laut, dass ihr die Ohren schmerzten.
»Ja, vielleicht solltet Ihr das!«
»Also schön!« Redal-Stan lehnte sich an die Brüstung. »Sieh her«, sagte er sarkastisch, und sie spürte ein Zupfen an ihrem Geist. »Siehst du das?«
Alissa beruhigte sich allmählich und ließ alle Gedanken los, um ihre Pfade zu finden. Das Muster, das darauf aufschimmerte, war lächerlich einfach, und sie nickte und prägte es sich ein. Die Resonanz erlosch.
»Bau den Bann in einem internen Feld auf«, sagte er angewidert, »und lege es über dein Netzwerk, genau so, wie du es machst, um deine Pfade zu verschleiern.«
Vor Freude darüber, dass sie etwas Neues gelernt hatte, schwand ihr Zorn. »So?«, zwitscherte sie fröhlich, und er seufzte über ihre schwankende Stimmung. Sein Blick wurde abwesend, und er sank in sich zusammen, während er ihr Muster überprüfte.
»Ja.« Er klang müde. »Für den Alltag auf der Feste reicht das aus. Gib ein wenig mehr Energie hinein, wenn du vor vierzehntausend Menschen im Freudentaumel stehst. Ich schlage vor, dass du den Bann nicht benutzt, ehe du dich vollständig erholt hast, damit du keine Abhängigkeit entwickelst.« Er runzelte die Stirn. »Halt dich von Ese’ Nawoer fern.«
Alissas Finger trommelten auf der Sessellehne herum.
»Schön!«, herrschte er sie an. »Tu doch, was du willst!«
Besänftigt ließ sie die Finger ruhen und den Bann fallen. »Ich darf also meine üblichen Aktivitäten wieder aufnehmen?«, fragte sie demütig.
»Meine Anweisungen ignorieren?«, brummte er. »Die Feste ohne Erlaubnis verlassen, den Frieden unter meinen Schülern stören und dich ganz allgemein als Pfahl in meinem Fleische gebärden? Aber natürlich«, stieß er in genervtem Singsang hervor. »Nur zu.«
Alissas Stirn runzelte sich erneut. »Ich meinte, meine Banne üben und mich stumm mit Connen-Neute
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