Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
mächtigen Bewahrer?«
Redal-Stan schüttelte den Kopf. »Das heißt dominant, Alissa, nicht stark. Wenn es K oder T ist, erhält man eine oder einen Shaduf. Ein einziges dominantes H ergibt eine Septhama.« Er schauderte in gespieltem Entsetzen. »Sehr selten, beinahe so selten wie du, und ebenso lästig.«
»Also«, sagte Alissa leise und überging die kleine Bosheit, »war Sati beinahe eine Meisterin.«
Redal-Stan streckte sich nach der Teekanne und räusperte sich. »Nein. Sati war ein bedauerlicher Unfall. Sehr unwahrscheinlich, aber so etwas geschieht eben, wenn Bewahrer stur sind.«
»Ein Unfall, aus dem Ihr Euren Nutzen gezogen habt«, warf Alissa ihm vor.
Er seufzte entnervt. »Hätte ich zu ihren Eltern gehen und ihnen die Hochzeit verbieten sollen?«
»Ja!«, rief sie, doch dann schlug sie die Augen nieder. »Nein, wohl besser nicht.«
»Siehst du? Es ist schwierig.« Redal-Stan lehnte sich zurück und legte höchst unmeisterlich die Füße auf seinen Schreibtisch. »Ihre Mutter war Bewahrerin. Sie wurde über das Risiko aufgeklärt, allerdings nicht über die Hintergründe, die ich dir gerade erklärt habe. Es war wesentlich wahrscheinlicher, dass sie Gemeine oder Bewahrer hervorbringen würde. Die Berechnung ist sehr schwierig, selbst wenn man die Abstammungslinien so weit zurückverfolgt hat wie ich. Allerdings kann man im Fall einer Shaduf nicht beurteilen, ob jemand die rezessiven Allele in sich trägt, bis sie sich miteinander verbinden. Man kann nicht sehen, was sich hinter einem dominanten Allel verbirgt. Außer beim Küsten-Allel. Diese beiden Allele sind kodominant. Die phänotypische Ausprägung der Allele zeigt also eine Mischung im Phänotyp, statt dass das dominante das rezessive verdeckt.«
Alissa wünschte, er würde aufhören zu reden. Sie hielt sich den Kopf und seufzte. Kodominant. Phänotypische Allele? Ausprägungen? Erwartet er wirklich, dass ich mir all das merke?, fragte sie sich.
»Äh«, versuchte er ihr zu helfen. »Das bedeutet, keine der beiden Anweisungen dominiert die andere. Das ist, als bekäme man rosa Küken von einem rot-weißen Elternpaar.«
»Warum habt Ihr das dann nicht einfach gesagt?«, brummte sie vor sich hin und fragte dann lauter: »Was ist mit Septhamas? Könnt Ihr die entdecken?«
Redal-Stan schüttelte den Kopf. »Nein, bedauerlicherweise. Dieses einzelne dominante H verändert ihre Pfade gegenüber den unseren so stark, dass ihr neuronales Netzwerk aussieht wie das eines Gemeinen. Deshalb verursachen sie bei uns auch keine Übelkeit durch Halbresonanzen, wie die Shaduf. Jedes Jahrhundert tauchen irgendwo ein paar Septhamas auf und wirbeln uns die Tabellen gründlich durcheinander. Für gewöhnlich finden wir sie über eine Schwemme von Bewahrern in einer Familie, von der wir erwartet hatten, dass sie nur Gemeine hervorbringen würde.« Redal-Stan verzog das Gesicht. »Sie bedeuten nichts als Ärger. Die einzig zuverlässige Möglichkeit, eine rezessive Anweisung zu entdecken, ist die, dass sie sich mit einer weiteren verpaart. Das sieht man dann.«
»Wie weiße Hühner«, sagte Alissa und dachte, dass sie es nun allmählich verstand. Sie reckte sich nach der Teekanne und füllte ihren winzigen Becher auf. »Wie sehen denn Menschen mit einem doppelten schwachen Paar aus?«, fragte sie und erwärmte den Tee mit einem Bann.
»Das nennt man doppelt rezessiv, Alissa«, verbesserte er sie ärgerlich, »nicht doppelt schwach. Aber um deine Frage zu beantworten – wie ein Mensch aussieht, kommt darauf an, auf welches Paar man sich bezieht.« Seine Augen wurden schmal. »Ich werde es dir nicht sagen.«
Alissa runzelte die Stirn, und Redal-Stan wölbte die unbehaarten Augenbrauen, als fordere er sie heraus, es ruhig weiter zu versuchen. »Ich«, prahlte er, »erinnere mich noch an die Bevölkerung von Ese’ Nawoer, als die Stadt nichts weiter war als ein paar Hütten um eine gemeinschaftliche Feuerstelle. Bis auf die neueren Familien kann ich dir ganz genau sagen, wer möglicherweise welche verborgenen rezessiven Eigenschaften in sich trägt. Das ist ungeheuer hilfreich, wenn man die zu erwartenden Wahrscheinlichkeiten für die nächste Bewahrer-Generation berechnen will. Du zum Beispiel warst vermutlich eine eins zu vierundsechzig, möglicherweise auch eins zu zweiunddreißig.« Er nahm die Füße vom Tisch und stellte sie auf den Boden. »Höchst unwahrscheinlich. Aber es überrascht mich, dass man deinen Eltern überhaupt gestattet hat, Kinder zu
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